© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Zeitschriftenkritik: Philosophie Magazin
Trauma Atombombe
Werner Olles

In Breslau als Sohn eines renommierten deutsch-jüdischen Philosophen-Ehepaares 1902 geboren, durchkreuzte der Nationalsozialismus die musikphilosophische Habitilation von Günther Anders. Sein Judentum war für ihn keine religiöse Tradition, sondern die Erfahrung von Verfolgung und Heimatlosigkeit. Er emigrierte 1933 nach Paris und drei Jahre später in die USA, um 1950 nach Wien zurückzukehren. Angesichts des Abwurfs der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki – ihm zufolge die „Stunde Null“ der Menschheit – wurde er zu einem der scharfsinnigsten Kritiker der modernen Technik. Für ihn stellte sie ein Grundproblem der Menschen dar, die sich die Folgen ihrer eigenen Schöpfung nicht vorstellen können und deshalb an chronischer Apokalypse-Blindheit leiden. 1957 begann Anders einen Briefwechsel mit dem Hiro-shima-Piloten Claude Eatherly, der nach dem Krieg an Gewissensbissen, Albträumen und schweren traumatischen Bewußtseinsstörungen litt. Während US-Behörden versuchten, ihn zum Schweigen zu bringen, ermöglichte der Kontakt mit Anders ihm, über seine Schuldgefühle und moralischen Konflikte zu sprechen. Der Philosoph, Anthropologe und Technikkritiker wurde zu Eatherlys Therapeut und Freund, dem es gelang, jenem Mann, der am 6. August 1945 für die Wetteraufklärung über Hiroshima gesorgt hatte, klarzumachen, daß ein unbelehrbarer Fortschrittsglaube und das moderne Wirtschaften die Apokalypse-Blindheit bestimmen.

Neben der Beilage „Günther Anders und die Atombombe“ befaßt sich die aktuelle Ausgabe (Oktober/November 2022) des Philosophie-Magazins mit dem Thema „Wahrer und falscher Rassismus“. Der schwarze Linguistik-Professor, Musikhistoriker und Literaturwissenschaftler John McWorther kritisiert die „unerbittlichen identitätspolitischen Kulturkämpfe“ und ist überzeugt, daß der „neue Antirassismus“ zu einer „religiösen Schuld- und Anklagekultur“ führe, die vor allem den armen Schwarzen nicht helfe. Der „neue Antirassismus“ spalte die Gesellschaft, da er Andersdenkende als „unmoralisch“ diffamiere. Doch seien die Thesen der antirassistischen Aktivisten „ziemlich schlampig formuliert“, ihre Vorstellungen von „strukturellem Rassismus“ extrem überstrapaziert. Realiter würden weit mehr Weiße von der Polizei getötet als Schwarze, und die Vorstellung, daß Polizisten eine besondere Abneigung gegen Schwarze hegten, sei durch keine Studie belegt.

Das Schwerpunkt-Dossier des Magazins widmet sich in vier Beiträgen der Frage „Was macht uns mutig?“ Weitere Texte beschäftigen sich mit dem Taiwan-Konflikt sowie der deutschen Indien-Sehnsucht, die seit Nietzsche und Hesse ungebrochen scheint.

Kontakt: Philomagazin Verlag, Brunnenstr. 143, 10115 Berlin, Telefon: 030 / 54 90 89 10.

Das Einzelheft kostet 8,90 Euro, ein Jahresabo für sechs Ausgaben 48 Euro.

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