© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Eulenspiegel des Dritten Reiches
Kino: „Der Paßfälscher“ von Maggie Peren erzählt authentisch von Schicksalen in der NS-Zeit, läßt aber das Spannendste weg
Dietmar Mehrens

Der Paßfälscher“ basiert auf den gleichnamigen Erinnerungen von Cioma Schönhaus (1922–2015), der die NS-Ära als junger Mann jüdischer Herkunft er- und überlebte. Die Geschichte, die Regisseurin Maggie Peren in ihrem Drehbuch adaptiert hat, trug sich im Winter 1942/43 in der Reichshauptstadt zu. Schönhaus (Louis Hofmann) bewohnt unter dem Tarnnamen Peter die verlassene Wohnung seiner deportierten Eltern und verdingt sich – mit wenig Begeisterung – als Schlosser in einer kleinen Werkstatt.

Lebensgefährliche Tätigkeit in der Untergrundbewegung

Doch es scheint sich herumgesprochen zu haben, daß der junge Mann auch noch ein anderes Talent hat. „Hast du eine ruhige Hand?“, wird er eines Tages gefragt. „Ich denke schon“, lautet Ciomas Antwort. Und so taumelt er, ohne sich richtig darüber klar zu werden, in den Widerstand. Er landet im Büro der Berliner Bekenntniskirche, in der Pässe für vom NS-Regime Verfolgte angefertigt werden. Eher schroff wird Cioma dort empfangen. „Glauben Sie an Gott?“, fragt ihn ein Herr Kaufmann (Marc Limpach), der Koordinator der lebensgefährlichen Fälschungsarbeiten. „Ich bete manchmal“, antwortet Cioma. „Sie wollen nur glauben, wenn Sie etwas davon haben“, folgert Kaufmann und weist damit auf ein beachtliches Mißverhältnis zwischen Ciomas Motiven und denen der Untergrundbewegung hin. Aber die Lebensgefahr, in die Fälscher und Auftraggeber sich mit den Fälschungen begeben, bedroht sie beide gleichermaßen. Sollten „die freundlichen Herren der Gestapo“ bei ihm klingeln, wird Cioma vorsorglich instruiert, solle er sich doch bitte unverzüglich aufhängen. Er bekommt dazu auch gleich die passende Krawatte ausgehändigt. 

Regisseurin Peren inszeniert Cioma Schönhaus als eine Art Till Eulenspiegel des Dritten Reichs. „Ich hab’ ab und zu die Gewohnheit, mich zu überschätzen“, gesteht der selten von Idealismus angetriebene Held dieser Schelmengeschichte seinem Freund Det (Jonathan Berlin), den er, ohne sich groß über das Risiko Gedanken zu machen, bei sich aufgenommen hat. Die im Erdgeschoß untergebrachte Ersatz-Blockwartin Frau Peters (Nina Gummich) nehmen die beiden für sich ein, indem sie sie die eigentlich konfiszierten Gegenstände in der Schönhaus-Wohnung verhökern lassen – natürlich alles illegal.

Lange läuft alles gut für den trickreichen Überlebenskünstler. Die Entlohnung für sein gesetzwidriges Treiben durch Lebensmittelkarten sichert ihm nicht nur regelmäßige Mahlzeiten, sondern auch die Gunst der verführerischen, aber janusköpfigen Gerda (Luna Wedler), die ebenfalls im verborgenen lebt. Doch als sich Gerda von ihm lossagt und sein Freund und Mitbewohner Det eines Tages kurz vor einem gemeinsamen Mahl im Restaurant von einem Zivilermittler kontrolliert wird, merkt Cioma, daß auch für ihn die Luft dünner wird.

Maggie Peren, die schon als Co-Autorin von „Napola – Elite für den Führer“ (2004) gutes Gespür für menschliche Dramen unterm Hakenkreuz bewiesen hat, erzeugt eine bedrückende Atmosphäre, in der die Bedrohung durch Krieg und NS-Schergen auch dann präsent bleibt, wenn gerade keine Bomben fallen und keine Gestapo-Beamten Personalien überprüfen. Ton- und Bildgestaltung sind exzellent. Als es einen Luftalarm gibt, vermeint man das Donnern bis in den eigenen Kinosessel zu spüren.

Hauptdarsteller Louis Hofmann spielt souverän, nur lächelt er zu oft an den falschen Stellen. Mehr noch irritiert aber, daß die Autorin und Regisseurin anders als ihr Kollege Stefan Ruzowitzky in seinem Oscar-prämierten Weltkriegsdrama „Die Fälscher“ (2007) nur wenig an äußerer Dramatik und dem Ausleuchten von Hintergründen interessiert ist. Lange Zeit erzählt Peren Belangloses und bricht ihre filmische Rekonstruktion der wahren Begebenheiten schließlich ausgerechnet in dem Moment ab, als sich für die meisten ihrer Protagonisten das Blatt zum Schlechteren wendet. Die spannendsten Geschichten stehen hier im Abspann.


Kinostart ist am 13. Oktober 2022