© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Hoffnungsvoll auf Sieg spielen
Heiterer Pessimismus beim Festakt: Mit gehaltvollen Podiumsdiskussionen feierte die Berliner Bibliothek des Konservatismus ihr zehnjähriges Gründungsjubiläum
Florian Werner

Konservative Bildung sei wie der Acker, auf dem politische Erfolge wüchsen, erinnert der Journalist Marco Galina an diesem Herbstnachmittag die versammelte Festgesellschaft. Gefeiert wird das zehnjährige Bestehen der Bibliothek des Konservatismus (BdK) in Berlin. Und tatsächlich – es ist Erntezeit. Die Blätter auf den Straßen nahe dem Bahnhof Zoo leuchten in satten Gold- und Rottönen. Die Sonne bricht immer wieder kraftvoll durch die spärliche Wolkendecke am Himmel. In Schweden und Italien haben konservative Bündnisse Parlamentswahlen gewonnen. Und mit dem jüngsten Erfolg der AfD in Niedersachsen wird die Frage nach Rolle und Einfluß politischen Konservatismus in Deutschland wieder lauter. Anlaß zu einer Bestandsaufnahme.

Dabei steht noch manch dunkle Wolke am Horizont. „Wir stehen am Ende von 2.000 Jahren Zivilisation – unsere Kultur stirbt.“ Die Mahnung des niederländischen Rechtsphilosophen Andreas Kinneging hallt warnend durch den Lesesaal der BdK. Doch die hoffnungsvolle Atmosphäre des Tages überwiegt Zweifel der versammelten Festgesellschaft wegen der politischen Großwetterlage. Kassandrarufe wie die des Hochschullehrers aus dem niederländischen Leiden scheinen die Hochstimmung der etwas mehr als 80 geladenen Gäste nicht zu trüben. Im illustren Publikum gesichtet werden der Bestsellerautor Thilo Sarrazin, die Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek und Ulrich Vosgerau. Eine Stimmung des „heiteren Pessimismus“ à la Friedrich Nietzsche liegt in der Luft.

„Das eigentliche Lesen ist die Sammlung auf das, was ohne unser Wissen einst schon unser Wesen in den Anspruch genommen hat, mögen wir dabei ihm entsprechen oder versagen“, sagt Heidegger in seiner Schriftensammlung „Aus der Erfahrung des Denkens“. Zwischen den Bücherregalen das Schicksal der abendländischen Kultur erspüren, um es zum Besseren zu wenden – das scheint in lockerer Anlehnung an den Philosophen von „Sein und Zeit“ die Devise an diesem Geburtstag zu sein.

Seminare für Studenten, hochkarätige Vortragsabende

„Wir müssen Traditionskompanien bilden“, unterstreicht der Historiker Karlheinz Weißmann in einem Redebeitrag, „und die manchmal sehr schwere Entscheidung treffen, was wir von unserer Kultur retten wollen“. Das sei nicht zuletzt auch der besondere Sinn der Bibliothek des Konservatismus, die im November 2012 ihre Tore für den Besucherverkehr öffnete. Dies wurde auf der Tagung mehrfach bekräftigt: Europaweit ist die BdK ein Unikum. Es gibt in keinem anderen europäischen Land eine vergleichbare Einrichtung, die derart umfassend den Kosmos konservativer Geistesgeschichte in über 35.000 katalogisierten Werken zugänglich macht.

Nach dem Festvortrag von Andreas Kinneging sitzen neben diesem auf dem ersten Podium Karlheinz Weißmann sowie die Althistoriker Egon Flaig und David Engels, als Moderator Bibliotheksleiter Wolfgang Fenske. „Längst ist die Bibliothek zu einem Kristallisationspunkt des Konservatismus in Deutschland geworden“, freut sich letzterer zuvor in seinem Grußwort an die Runde, in der tatsächlich so ziemlich alles sitzt, was im konservativen Deutschland Rang und Namen hat.

Nach zehn Jahren Publikumsverkehr biete die BdK nicht nur studienbegleitende Seminare, hochkarätige Abendveranstaltungen – in den kommenden Wochen etwa mit vieldiskutierten Schriftstellern wie Uwe Tellkamp und Michael Klonovsky –, Seminare für Studenten und eine eigene akademische Schriftenreihe an. Mit den beiden Podcasts „Katechon“ und „Forum“ sei sie mittlerweile auch im digitalen Raum angekommen und erreiche noch mehr junge Interessenten. „Kein Hort musealer Verklärung“, sondern „ein Ausgangspunkt für Debatte und Aktion“ solle die BdK sein, betont auch JF-Chefredakteur Dieter Stein als Vorsitzender des Stiftungsrates der die BdK tragenden gemeinnützigen Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF) in seiner Dankesrede.

Dabei könne sich heute kaum noch jemand vorstellen, „unter welch abenteuerlichen Bedingungen die Gründung der Bibliothek damals vonstatten ging“. Die ursprüngliche Idee zur Bibliotheksgründung sei 2007 aus einem Gespräch zwischen Stein und dem FKBF-Gründer Caspar von Schrenck-Notzing entstanden  – „einem der wichtigsten konservativen Publizisten der deutschen Nachkriegszeit“, so Stein. Schrenck-Notzing habe sich damals gefragt, was in Zukunft aus seiner mehr als 15.000 Bände umfassenden privaten Forschungsbibliothek werden solle. Daraus entstand schließlich der Plan, die einmalige Sammlung für politische Bildungsarbeit im konservativen Milieu zu erhalten.

Doch zunächst wurden die Bücher ab 2009 behelfsmäßig in Räumlichkeiten der JUNGEN FREIHEIT zwischengelagert, denn weder das Personal noch eigene Räume schienen für die Bibliothek damals in Sicht. Für Stein war es daher eine mutige Entscheidung von BdK-Leiter Wolfgang Fenske, sein Pfarramt für das Projekt aufzugeben und sich ganz dem Aufbau der Bibliothek zu verschreiben.

Doch nicht nur die Bibliothek in der Fasanenstraße unweit des Bahnhof Zoo wurde anläßlich dieses Jubiläums gewürdigt. Neben einer eher philosophisch gehaltenen Diskussionsrunde wurde auch der aktuelle Stand konservativer Politik eingehend diskutiert. Für alle Beteiligten stellte sich die nachdenkliche Frage: Ist der jüngste Wahlsieg Melonis in Italien nur ein Strohfeuer oder Anzeichen eines generellen Trendwechsels?

Die Katastrophen der Zeit mit einem Augenzwinkern begleiten 

Kämpferische Grüße aus dem europäischen Ausland überbrachte auch der Herausgeber der in Budapest hergestellten Zeitschrift The European Conservative, Mario Fantini. Die Wähler in westlichen Ländern würden von konservativen Parteien keine Kompromißhaltung mehr sehen wollen, sondern stärkere Prinzipientreue, so Fantini. Mit den Worten des katholischen Schriftstellers Gilbert Chesterton erinnerte er daran: „Es werden noch Schwerter gekreuzt um den Satz zu verteidigen, das zwei und zwei vier ergeben.“

Der ehemalige ungarische Botschafter in Deutschland und der Schweiz Gergely Pröhle gemahnte bei so viel Kampfeslust zur Besonnenheit. Politik beruhe immer auch auf Kompromissen mit anderen Parteien. „Man muß sich daran gewöhnen, mit jemandem am gleichen Tisch zu sitzen, den man nicht unbedingt zum Bier einladen würde“, gab er zu bedenken.

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt schließlich versuchte in seinem Wortbeitrag, derlei Widersprüche zwischen Fundamentalopposition und Annäherung an den Mainstream im konservativen Lager durch Verweis auf die Notwendigkeit einer ironischen Weltsicht zu versöhnen. Konservative müßten die Katastrophen der Zeit mit einem Augenzwinkern begleiten, um nicht zu verzweifeln. Auch hier meldete sich der „heitere Pessimismus“ Nietzsches wieder, der auch im Herbst der europäischen Zivilisation noch auf Sieg spielt.

Wie auch immer die Zukunft des Konservatismus in Europa aussehen mag – an den Büchern führt kein Weg vorbei. „Es gibt kein außerhalb des Texts“, mahnt der französische Schüler Heideggers Jacques Derrida. Man muß durch die „kritischen Wälder“ (Herder) hindurch, um dem Verhängnis der abendländischen Kultur auf die Spur zu kommen. Denn wer einen Bogen um die dicken Wälzer und ellenlangen Bände macht, wird selbst irgendwann darin zu finden sein – als abschreckendes Beispiel für die Nachwelt.

Daß die Feiernden im Anschluß an den Festakt noch bis in die späten Abendstunden fröhlich beisammensaßen, darf unterdessen als Beleg dafür angesehen werden, daß die BdK in ihrer ersten Dekade zu einem Ort des lebendigen Austauschs zwischen Konservativen aus ganz Europa geworden ist – ein Grund für Zuversicht.

Kontakt: Bibliothek des Konservatismus, Fasanenstraße 4, 10623 Berlin

 www.bdk-berlin.org