© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Ein Jahrhundert Tante Beeb
Zwischen Presse-Leuchtturm und Diversity: Die BBC feiert ihren 100. Geburtstag
Julian Schneider

Als in London vor hundert Jahren die ersten BBC-Sendungen über den Äther gingen, besaßen nur wenige Bürger überhaupt ein Radiogerät. Die „British Broadcasting Company“, die am 18. Oktober 1922 ihre Arbeit aufnahm, erreichte anfangs nur wenige zehntausend Hörer. Ein Konsortium von Radioapparateherstellern hatte den Sender gegründet und eine staatliche Lizenz erhalten; sie wollten die frei funkenden Privatradios stoppen. Vier Jahre später übernahm der Staat den Sender und benannte ihn in British Broadcasting Corporation (BBC) um.

Viele ältere Briten kennen sie noch mit dem Spitznamen „Auntie Beeb“ (Tantchen Beep). Heute ist die BBC ein weltweit operierender Medienkonzern, mit seinen Flaggschiffsendern BBC One, BBC Two und BBC Four, Dutzenden Radiosendern und dem BBC World Service, der auch in Asien und Afrika stark vertreten ist und in mehr als zwei Dutzend Sprachen sendet. Insgesamt 21.250 Mitarbeiter beschäftigt der Konzern und verwaltet ein Jahresbudget von 5,3 Milliarden Pfund (gut 6 Milliarden Euro). Davon erhält die BBC 3,8 Milliarden Pfund durch die „Licence Fee“ (Rundfunkgebühr).

Instrument der weltweiten „Soft Power“ des Königreichs

Die BBC ist dafür ein weltweit sichtbarer journalistischer Leuchtturm des Königreichs und Teil der britischen „Soft Power“ – auch wenn es gerade von konservativer Seite immer wieder Kritik an ihr gab. Bis in die 1980er arbeiteten viele in der Wolle gefärbte Sozialisten dort, Margaret Thatcher sah sich einer eisig feindseligen BBC gegenüber. Noch heute ist die Rundfunkanstalt politisch moderat-links orientiert und umkämpft. In den vergangenen Jahren beschuldigten sich Brexit-Anhänger wie -Gegner gegenseitig, der Sender sei politisch voreingenommen und einseitig. BBC-Bias (Schlagseite) ist ein gängiges Schlagwort.

Aus deutscher Perspektive erscheint die BBC indes objektiver und neutraler, jedenfalls viel weniger links-grün gefärbt als der bundesdeutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk, der in den Nachkriegsjahren in der britischen Besatzungszone mit dem NWDR nach BBC-Vorbild gegründet wurde. Ideologische Schieflage und propagandistische Ausfälle wären im britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk undenkbar und würden von der Senderspitze sanktioniert. BBC-Kommentare müssen ausgewogen sein. BBC-Journalisten dürfen nicht mal auf Twitter ihre persönliche politische Meinung kundtun, sondern müssen sich strikt zurückhalten.

Nach der Gründung 1922 baute die BBC zunächst das Radio stark aus. Zu den Nachrichten kamen bald Musik, Radiogespräche, Tanzorchester und Fußballspielkommentare hinzu. Im Jahr des britischen Generalstreiks 1926 verteidigte der BBC-Gründungsdirektor John Reith nicht nur gegen rabiate Gewerkschaften den Betrieb, sondern auch die journalistische Unabhängigkeit, als Schatzkanzler Churchill Premierminister Baldwin drängte, direkt in die Nachrichtensendungen einzugreifen. Ab Ende 1936 übertrug die BBC erstmals regelmäßige Fernsehsendungen, ein Jahr nachdem in Deutschland die NS-Reichsregierung das öffentliche Fernsehen gestartet hatte, allerdings in recht bescheidener Bildqualität.

Im Zweiten Weltkrieg kam der BBC große Bedeutung zu. Die täglichen Radio- und TV-Berichte sollten die Moral an der Heimatfront stärken und sendeten Nachrichten an die Front. Churchill sprach regelmäßig übers Radio zur Nation. Auch in Deutschland hörten Tausende die BBC-Nachrichten auf ihren „Volksempfängern“, obwohl es verboten war, den Feindsender zu empfangen.

In den Nachkriegsjahrzehnten bekam die BBC zwar Konkurrenz durch den privaten Fernsehsender ITV (seit 1955). Seit den späten 1980er Jahren drängte sich Rupert Murdochs Sender Sky News dazu. In jüngerer Zeit versucht der rechte Sender GB News und Murdochs neues Talk TV anzugreifen. Die BBC dominiert jedoch noch immer bei weitem. Allerdings kämpft sie mit sinkenden Zuschauerzahlen. Zwar verweist die BBC darauf, daß sie bis heute 90 Prozent der Erwachsenen regelmäßig erreicht, doch sie verliert gerade unter Jüngeren Marktanteile. Die schauen oft lieber Filme auf Netflix. Da die Regierung die Licence Fee (aktuell 159 Pfund) seit Jahren nur moderat erhöht, klagt die BBC über dauernden Spardruck.

Genaue Quoten für Schwarze, Asiaten und LGBTQ

Im Laufe der Jahre hat die BBC Großbritannien kulturell stark geprägt und reflektiert gleichzeitig den sozialen Wandel, der seit den sechziger Jahren das Land kulturell nach links rückte. Seifenopern wie die beliebte Serie „EastEnders“ sind vielleicht nicht so penetrant volkspädagogisch wie die deutsche Lindenstraße, aber im Bestreben, möglichst viel „Diversity“ zu bringen, zeigt die BBC eine erhebliche Überrepräsentation ethnischer Minderheiten relativ zum tatsächlichen Bevölkerungsanteil im Königreich. In ihren Jahresberichten listet sie exakt auf, wie hoch der Anteil von Schwarzen, Asiaten und anderen Ethnien im Programm (zuletzt 26,5 Prozent) und von LGBT (12,5 Prozent) ist. Oft ist die Kritik zu hören, daß die BBC zu stark die Ansichten der kosmopolitisch-linksliberalen Elite Londons widerspiegele, zu wenig die Provinz. Zum 100. Geburtstag wird das alles in den Hintergrund rücken; da wird der Rundfunk seine Bedeutung als Klammer der Nation herausstellen.