© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Zuhören statt ausschließen
Formate auf Youtube: US-Nachwuchsjournalist Andrew Callaghan gibt Randgruppen eine Bühne
Eric Steinberg

Das Zuhören gehört zu den wichtigsten Qualitäten eines Journalisten. Jemand, der diese Fähigkeit beherrscht, ist der Amerikaner Andrew Callaghan. Zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen – viele davon umstritten – schenkte der 25jährige Nachwuchsreporter sein Gehör: Proud Boys, Anhänger der Flacherden-Theorie oder auch Black-Lives Matter-Randalierer. 

Sein Youtube-Kanal „Channel 5“ dient dem humoristischen Wuschelkopf dabei als Plattform. Fast drei Millionen Zuschauer sehen seine Videos im Durchschnitt. Callaghan betreibt Gonzo-Journalismus. Anstatt besonders kritisch nachzuhaken, stürzt er sich ins Getümmel und stellt seine Protagonisten in den Vordergrund. Je nach Gesprächspartner bringt das dem ehemaligen Journalismus-Studenten nicht nur Fans ein. Kritiker monieren, daß er auf diese Weise auch extreme Ansichten zu Wort kommen läßt und dennoch auf Einordnungen verzichtet. Genau das ist allerdings Callaghans journalistisches Konzept: „Versuche einfach, radikale Zuhörtechniken anzuwenden und öffne dein Herz für alle Menschen, auch wenn es jemand ist, mit dem du vehement nicht einverstanden bist. Du könntest etwas lernen“, sagte er gegenüber dem Editorial Magazine. Callaghan hofft auf gesellschaftliche Verständigung im zerrütteten Amerika, auch wenn das nur im kleinen Rahmen machbar sei: „Es gibt Möglichkeiten, von Individuum zu Individuum die Kluft zu überbrücken, aber auf Massenebene glaube ich nicht.“

Bereits während seines Studiums in New Orleans entlockte er den Menschen via Straßenumfragen schräge Antworten und startete seine YouTube-Karriere. Auf dem Kanal „All Gas No Brakes“ professionalisierte sich der Auftritt des Journalisten. So begleitete er bereits dort nicht nur verschrobene Randgruppen, sondern auch gesellschaftlich relevante Ereignisse wie die Proteste in Minneapolis nach dem Tod von George Floyd im Mai 2020. Daß sich Callaghan in der US-amerikanischen Medienwelt gefestigt hat, beweist sein jüngster Deal: Der Fernsehsender HBO sicherte sich die Rechte an seinem demnächst erscheinenden Dokumentarfilm über den Sturm auf das Kapitol in Washington.