© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

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Infrastruktur: Chinas Staatskonzern Huawei will vom Netzausbau profitieren / Geheimdienstler warnen
Hinrich Rohbohm / Christian Vollradt

Ob Sabotage gegen Anlagen der Bahn oder Cyberangriffe auf sicherheitsrelevante Einrichtungen: Nicht erst seit dem 24. Februar hat die Bedrohung für Deutschlands Kritische Infrastruktur zugenommen. Das hat mittlerweile auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bemerkt, die sich öffentlichkeitswirksam von der Bundespolizei Kabelschächte zeigen läßt und von den Betreibern verlangt, massiv in die Sicherheit zu investieren. 

Dabei hatte es an Ermahnungen schon früher nie gefehlt. Besonders vor einem Risiko hatten der für Spionageabwehr zuständige Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und Partnergeheimdienste die Bundesregierung und insbesondere die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gewarnt: sicherheitsrelevante Unternehmen oder Projekte in die Hände ausländischer Staatskonzerne abzutreten, die diese in ihrem Interesse gegen das Deutschlands einsetzen – oder eher lahmlegen – könnten. Im Falle von Gasspeichern, die an Gazprom gingen, ist gerade das Lehrgeld dafür fällig, diesen Rat in Berlin nicht befolgt zu haben. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Deutschland seien in dieser Hinsicht bisher zu vertauensselig gewesen und hätten sich in eine „schmerzhafte Abhängigkeit“ von einer Macht begeben, die „auf einmal nicht mehr wohlgesonnen“ erscheine, resümierte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, bei einer öffentlichen Anhörung im Bundestag. 

Ob die Ampel-Regierung im Fall des staatlichen chinesischen Telekommunikationskonzerns Huawei, der beim Ausbau des deutschen 5G-Netzes auf den Markt drängt, derartige Warnungen ignoriert und die Fehler von gestern wiederholt? Bereits im März dieses Jahres hatte der Bundesverband IT-Sicherheit (Tele-Trust) das Bundeswirtschaftsministerium auf Verbindungen des Cybersicherheits-Dienstleisters Protelion zum russischen Geheimdienst aufmerksam gemacht. 

Chinesen setzen auf Kontakte in den Parteien

Das Unternehmen verkauft IT-Sicherheitslösungen für andere Unternehmen, um sie vor Cyberangriffen zu schützen. Ohne Erfolg. Die Firma war unter ihrem früheren Namen Infotecs GmbH mehrfach vom Wirtschaftsministerium mit Bundesmitteln gefördert worden. Trotz der Warnungen. Infotecs ist ein Tochterunternehmen der von einem KGB-Mitarbeiter gegründeten Firma O.A.O. Infotecs. Der KGB-Mitarbeiter war von Rußlands Präsident Wladimir Putin für seine Aktivitäten mit einer Ehrenmedaille ausgezeichnet worden.

Wegen Verstrickungen von Protelion/Infotecs  mit einem deutschen Cybersicherheitsverein hat das Innenministerium zu Wochenbeginn den Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, mit sofortiger Wirkung freigestellt. 

Nahezu unbehelligt kann sich unterdessen Huawei in den Gremien der deutschen Cybersicherheits-Infrastruktur bewegen. Etwa beim Bundesverband Breitbandkommission, dem Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten, dem Verband der Internetwirtschaft oder beim Verein „Deutschland sicher im Netz“. Trotz der negativen Erfahrungen mit Cyber-Infiltrationen durch Rußland scheint man nicht schlauer geworden zu sein. So mischt der Huawei-Konzern auch bei der Allianz für Cyber-Sicherheit, dem Bundesverband Solarwirtschaft, dem Bundesverband Energiespeicher und beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft mit. Auch beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie und der Bitkom, dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien. Genauso ist der chinesische Staatskonzern im CDU-Wirtschaftsrat und im Wirtschaftsforum der SPD vertreten.

Verbindungen, die für Huawei nützlich sind, um seine Produkte deutschen und europäischen Unternehmen schmackhaft zu machen. In dieser Woche hatte der Konzern dafür zu einem Kongreß nach Paris geladen. Unter dem Titel „Huawei Connect“ waren zahlreiche europäische Unternehmen der Cyberbranche vertreten. Ebenso Politiker des Europäischen Parlaments, wie etwa der ehemalige slowenische Landwirtschafts- und Umweltminister Franc Bogovič (EVP) und die sozialdemokratische Europaabgeordnete Adriana Maldonado López. Als Hauptsponsor für Huawei dabei tätig: Orange Business Services, einer der größten IT-Dienstleister Europas.

Mit dabei als Redner: Wolfgang Heer, Geschäftsführer des Bundesverbands Glasfaseranschluß (Buglas). Gut 150 Unternehmen sind in dem Verband zusammengeschlossen. Eines davon: Huawei. Vor seiner Tätigkeit für den Buglas arbeitete Heer als Referent für mehrere Bundestagsabgeordnete, anschließend als stellvertretender Pressesprecher des ehemaligen Bundesforschungsministers Jürgen Rüttgers (CDU). Als Rüttgers Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wurde, war sein Ziel, das Bundesland zu einem „China-Zentrum“ auszubauen. Bei einem Besuch in Shanghai traf der damalige Regierungschef eine Vereinbarung über den Bau eines Innovationszentrums in Düsseldorf. Dort befindet sich die Europazentrale des Huawei-Konzerns, der als Folge der Rüttgers-Vereinbarung in Nordrhein-Westfalen kräftig expandierte.

Zudem steht seit gut einem Jahr Leo Kärkkäinen als „Chief AI Expert“ in den Diensten des chinesischen Staatsunternehmens. Der einstige Physikprofessor an der finnischen Aalto-Universität ist Experte für künstliche Intelligenz. Derzeit reist er durch Deutschland, bewirbt in Vorträgen vor mittelständischen und größeren Unternehmen die Huawei-Produkte und ihre damit verbundenen vorgeblichen technologischen Fortschritte und Problemlösungen. Warnungen über mögliche enthaltene Spionage-Software: Fehlanzeige. Kärkkäinen dürfte dabei von Huawei nicht grundlos angeworben worden sein. Der Finne war mehr als 20 Jahre als Forschungsleiter für den Telekommunikationskonzern Nokia tätig, ein Konkurrenzunternehmen von Huawei, das von deutschen und europäischen Politikern sowie Kritikern von Merkels Pro-Huawei-Kurs oft als Alternative für den Breitbandausbau genannt wurde. Entsprechend vielfältig sind sein Know-how und seine für Huawei noch wertvolleren Kontakte zu branchennahen Physikern.

Dem Konzern geht es auch um Kontakte in die Politik. Während der Merkel-Ära war Huawei ein häufiger Gast und Sponsor von Parteitagen. Als  der Konzern auf dem Leipziger Parteitag 2019 im Zuge der Diskussion um seine Beteiligung am 5G-Ausbau in Deutschland ins Gerede kam, verzichtete man im Adenauer-Haus auf seine Anwesenheit. Erst mit Merkels Abgang und unter Friedrich Merz als neuem Parteichef setzten die Christdemokraten dem Staatskonzern den Stuhl ganz vor die Tür. 

Seitdem versucht das Unternehmen Kontakte in die CDU unterhalb der Bundesebene zu vertiefen, etwa auf dem Landesparteitag der CDU Baden-Württemberg, wo Huawei im vergangenen Jahr erneut mit einem Stand vertreten war. Der Landesverband wird derzeit noch von dem auf Abruf stehenden Merkel-Vertrauten und langjährigem CDU-Bundesvize Thomas Strobl geführt.

Maßgeblich verantwortlich für die Lobbyarbeit des Konzerns und die Herstellung von Kontakten zu CDU-Größen ist Sven Ursinus. Der 35jährige ist einer von acht leitenden Interessenvertretern des Konzerns in Deutschland. Einst leitete er den Bundesverband IT-Mittelstand. Seit 2019 ist Ursinus als Public Affairs Manager für Huawei tätig, seit zwei Jahren für „Governmental Affairs“ verantwortlich. Über ihn scheint der Konzern nun offenbar zu versuchen, sich an die Unionspolitiker von morgen heranzumachen.

Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) im Oktober vorigen Jahres war Ursinus ebenfalls mit von der Partie. Auch bei der abendlichen Feier der Jugendorganisation wurde er im Gespräch mit JU-Politgrößen gesehen. Möglicherweise nicht ohne Erfolg. Ein halbes Jahr später, Anfang April dieses Jahres, sponserte Huawei den Frühlingsempfang der Entscheidung, des Mitgliederorgans der JU.

Auf die Frage, ob es ratsam sei, dem Konzern aus dem Reich der Mitte Teile der Kritischen Infrastruktur Deutschlands zu verkaufen, antwortete BND-Präsident Kahl am Montag im Bundestag recht unmißverständlich: Dem chinesischen Partner sei nicht vorbehaltlos zu vertrauen, denn er werde die Mittel, die ihm dann hierzulande zur Verfügung stünden, in jedem Fall für seine Interessen nutzen.