© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Ländersache: Sachsen
Unternehmer in Wut
Paul Leonhard

In Sachsen wird wieder demonstriert: Regelmäßiger und lauter als in anderen Bundesländern bricht sich der Unmut Bahn. Diesmal sind es die Unternehmer, die in langen Autokorsos auf ihre Probleme mit dem verheerenden Wirtschaftskurs der Bundesregierung aufmerksam machen. In der vom Strukturwandel besonders gebeutelten Braunkohleregion Oberlausitz waren es am Mittwoch vergangener Woche mehr als 300 Unternehmen mit 696 Fahrzeugen. Politische Parolen, Parteifahnen oder Bezug auf Parteien hatten die Organisatoren untersagt. Es sei allein um die Sicherung von Mittelstand und Unternehmen, den Erhalt der Arbeitsplätze und bezahlbare Energie gegangen. Man wollte mit den Protesten politisch nicht vereinnahmt werden. Auf den Bundesstraßen 96 und 178 bildete sich eine kilometerlange Kolonne.

Solche Demonstrationen sind im Freistaat nicht neu. Besonders tun sich jene Städte hervor, die mit ihren Massendemonstrationen schon die SED-Diktatur zusammenbrechen ließen: Dresden, Leipzig, Chemnitz, aber auch Bautzen oder Plauen. In der Landeshauptstadt hatte die Bautzener Dachdecker-innung am vergangenen Freitag zu einer Kundgebung vor der Frauenkirche aufgerufen, bei der sich mehr als 5.000 Menschen versammelten. In Plauen gewann das „Forum für Demokratie und Freiheit“ an einem Abend 4.000 Menschen für eine Kundgebung, von denen dann 2.500 an einem Umzug teilnahmen. Die Demonstranten wissen: Nicht alle Preissteigerungen sind dem Ukraine-Krieg geschuldet, vieles ist das Ergebnis der Energiepolitik der Bundesregierung.

Daß Firmeninhaber gezielt zu Kundgebungen gegen die Regierungspolitik aufrufen, ist selbst im diskussionsfreudigen Ostsachsen ein neues Phänomen. Auch, daß der parteilose Zittauer Oberbürgermeister von einem völlig berechtigten Hilferuf spricht und ebenso wie der CDU-Landrat die Aktion öffentlich unterstützt. Und daß Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sofort das Gespräch mit den Initiatoren – Bauunternehmer, Handwerker und Mittelständler – sucht, nicht etwa um sie von der Straße wegzulocken, sondern um sie, im Gegenteil, zu weiteren Protesten zu ermutigen, ebenfalls.

„Es ist unglaublich beeindruckend, wie wenig die bisherigen Maßnahmen zur Beruhigung der Menschen beigetragen haben“, sagte der CDU-Politiker der Sächsischen Zeitung zufolge bei einem Gespräch mit Unternehmern in Waltersdorf. Gemeint war die im Bund regierende Ampel-Koalition, auf die Kretschmer geschickt allen sächsischen Frust zu kanalisieren versucht. Seit den ersten Rußlandsanktionen und dem Ausbruch der Corona-Pandemie befindet sich der sächsische Mittelstand in einer permanenten Ausnahmesituation. Die explodierenden Energiepreise verschlechtern die Stimmung rapide. Aktuell bewerten die Unternehmer laut einer Umfrage der Wirtschaftsauskunftei Creditreform Geschäftslage und -erwartungen negativer als den Bundesdurchschnitt. 72,8 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, ihre Preise anheben zu müssen. Folgen? Der Inhaber einer Landfleischerei: „In den vergangenen drei Wochen habe ich an der Theke ein Drittel weniger Umsatz gemacht.“