© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Geist und Macht
Islam: In Köln darf der Muezzin öffentlich rufen – ausgerechnet in der Ditib-Großmoschee / Eigentlich war das ausgeschlossen
Peter Freitag

Als die Sonne über Köln am vergangenen Freitag gegen 13.20 Uhr ihren höchsten Stand erreichte, war es soweit: „Allah ist groß. Es gibt keinen Gott außer Allah. Mohammed sein Gesandter. Kommt zum Gebet!“ sang Imam Mustafa Kader auf arabisch den Adhan, den Gebetsruf der Moslems. Das allein hätte kaum Aufsehen erregt, wenn es nicht das erste Mal per Lautsprecher auf die Straßen der Domstadt und damit in die Öffentlichkeit übertragen worden wäre. Denn genau das sollte es eigentlich nicht geben, hatten die Stadt Köln und die Gemeinde der vor vier Jahren eingeweihten Zentralmoschee im Stadtteil Ehrenfeld vereinbart. Der Bau des Betonkomplexes mit dem 2.000 Quadratmeter großen Gebetsraum und den zwei Minaretten hatte von Beginn an für viel Aufregung, Kontroverse und Proteste gesorgt, so daß man in diesem Punkt den Kritikern gegenüber Zugeständnisse gemacht hatte. 

Die scheinen nun obsolet zu sein. Denn vor einem Jahr startete Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) ein zunächst auf zwei Jahre befristetes „Modellprojekt“, bei dem die Moscheegemeinden beantragen können, ihre Gläubigen zum mittäglichen Freitagsgebet zu rufen (JF 43/21). Das Stadtoberhaupt sah darin ein „Zeichen der gegenseitigen Akzeptanz der Religion“ und ein „Bekenntnis zur grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit“. Inoffiziellen Zahlen auf Basis des Mikrozensus zufolge sind in der Metropole am Rhein rund 11,9 Prozent der Bewohner Moslems. Deutschlandweit beläuft sich ihr Anteil laut Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auf 6,4 bis 6,7 Prozent der Gesamtbevölkerung. 

Rekers Angebot folgte ein Jahr später allerdings nur eine Gemeinde: ausgerechnet die von der Ditib, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, betriebene Zentralmoschee. Der Verein ist eng mit der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden, die auch die Imame nach Deutschland entsendet. An der Einweihung der Kölner Großmoschee 2018 nahm der türkische Staatspräsident Reccep Erdoğan teil, der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte deswegen auf seine Anwesenheit verzichtet, Oberbürgermeisterin Reker auch – nachdem ihr die Möglichkeit, ein Grußwort zu halten, nicht zugesagt worden war. Es gehe nicht um eine Machtdemonstration, sondern nur um Spiritualität und die Freiheit der Religion, betonen Vertreter der Ditib.

„Knicks vor dem Treiben Erdogans“

Das sehen Kritiker ganz anders. So versammelten sich am vergangenen Freitag auch rund 30 Demonstranten gegenüber der Moschee, um ihren Unmut zu äußern. Weil der Gebetsruf gemäß den Auflagen der Stadt 60 Dezibel nicht überschreiten darf und damit leiser ist als ein Auto auf der davor liegenden Straße, übertönten die Gegner, darunter Frauen aus dem Iran, den Adhan zeitweise sogar. Der fand bei der Premiere – nicht zuletzt wegen der zahlreich erschienenen Journalisten – ausnahmsweise außerhalb der Moschee statt.  

Der Islamismusexperte Ahmad Mansour sieht darin ungeachtet aller Beschränkungen eine „Machtdemonstration des politischen Islam“, wie er der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Er nannte es „verheerend, wenn ausgerechnet dieser Organisation jetzt eine derartige öffentliche Anerkennung zuteil wird“. Die frühere Kölner Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) nannte den Muezzinruf einen „Knicks vor dem politischen Treiben Erdoğans, auch in Deutschland“. Bestseller-Autor Thilo Sarrazin sprach in der Bild-Zeitung gar von „kulturellem Selbstmord“. Bereits vor einem Jahr hatte der ehemalige Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs Michael Bertrams das Modellprojekt kritisiert. Es gehe nicht einfach darum, daß der Muezzin in Köln rufen dürfe, sondern davon, wozu er aufrufe. „Konkret: Was geschieht in den Moscheegemeinden? Welche Botschaften werden dort in den Predigten verkündet?“ führte der Verfassungsrechtler im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger aus. Hier hätten die deutschen Behörden eine Aufsichtspflicht. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, Hendrik Wüst (CDU), äußerte die Sorge, „daß damit möglicherweise mehr Streit in die Gesellschaft getragen als der Integration gedient wird“. 

In manchen Städten und Gemeinden waren Muezzinrufe bereits ausnahmsweise während der Corona-Pandemie genehmigt worden. So sollten die Gläubigen akustisch erreicht werden, ohne in die Moschee gehen zu müssen, lautete damals die Begründung. Wegen des Einflusses des türkischen Staates auf die Ditib hatte es immer wieder Kontroversen über den Umgang mit dem Moscheeverband gegeben. Im vergangenen Jahr sorgte die Tatsache für Kritik, daß die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bei der Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts erneut mit der Organisation kooperiert, nachdem die Zusammenarbeit zwischenzeitlich ruhte. 2017 hatten deutsche Behörden Räume von Ditib-Imamen durchsucht, die verdächtigt wurden, im Auftrag Ankaras politische Gegner in Deutschland ausgeforscht zu haben.