© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Antidemokratischer Alarm
Paul Rosen

Sogar den Bundeskanzler hat es erwischt. „Jemand hat den Feueralarm gedrückt. Er unterstützt nicht gerade unsere Diskussionen hier“, meinte Olaf Scholz auf dem Weltgesundheitskongreß am Sonntag in Berlin. Mitglieder der Organisation Scientist Rebellion Germany hatten im Tagungshotel den Brandmelder gedrückt. Das bewußte Auslösen eines Fehlalarms hat sich in der vergangenen Woche vom bösartigen Streich zum politischen Kampfinstrument sogenannter Klimaretter gewandelt. Nach dem Berliner Abgeordnetenhaus war zweimal auch der Bundestag betroffen. Der Taten bezichtigt hatten sich Mitglieder der Gruppe Letzte Generation, die durch regelmäßige Autobahnblockaden in Berlin bereits einen schlechten Ruf erworben hat.

Nach den Störungen des Berufsverkehrs geht es jetzt darum, den politischen Betrieb ins Stocken zu bringen. Beim ersten Versuch kam der Täter als normaler Besucher in die Reichstagskuppel, wo er Alarm auslöste. Folgen für den Parlamentsbetrieb hatte das aufgrund der räumlichen Trennung nicht.

Anders jedoch einen Tag später. Wieder hatte sich ein Mitglied der Gruppe Letzte Generation Zugang zu den normalerweise gut gesicherten Bundestagsgebäuden verschafft und um 20.56 Uhr Alarm ausgelöst. Das war in diesem Fall durch Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema Umweltkriminalität im Paul-Löbe-Haus problemlos möglich.

Was dann passierte, wird im Bundestag regelmäßig geübt. Per Lautsprecherdurchsagen wurden die anwesenden Mitarbeiter aufgefordert, die Büros unverzüglich auf den bekannten Rettungswegen zu verlassen. Die zwischenzeitlich eingetroffenen Feuerwehrleute begaben sich in das Gebäude und stellten den Fehlalarm fest. In der Zwischenzeit hatte die Bundestagspolizei alle Büros im Löbe-Haus überprüft, ob sich dort noch Mitarbeiter befänden, die den Feueralarm überhört haben könnten. Solch  eine Operation dauert normalerweise eine Stunde, diesmal – nach Feierabend – laut Pressestelle des Bundestags nur „wenige Minuten“.

Die Angriffe der Letzten Generation auf Verfassungsorgane strapazieren die ohnehin an der Belastungsgrenze operierende Feuerwehr. Über 1.000 Euro stellt die fürs Ausrücken in Rechnung – dem Bundestag als Eigentümer, der sich das Geld dann von den Verursachern zurückholen muß. Gegen die ermittelt nun die Bundestagspolizei. „Bei den Vorgängen handelt es sich um den Mißbrauch von Notrufen, Sachbeschädigung sowie die Verletzung der Hausordnung eines Gesetzgebungsorgans“, heißt es auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT.

Erste Folgen der Aktionen gibt es bereits. Im Berliner Abgeordnetenhaus wurde der Besuchsverkehr eingeschränkt. Im Bundestag sind die Regelungen ohnehin seit Jahren immer weiter verschärft worden. Jetzt könnte es dazu kommen, daß öffentliche Veranstaltungen ganz untersagt werden und auch die Bewegungsfreiheit von Journalisten weiter eingeschränkt wird. Damit würde auch noch der letzte Rest an Transparenz abgeschafft.