© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Jetzt beginnt die Arbeit
Schweden: Die neue Rechtsregierung versucht sich am Paradigmenwechsel
Josef Hämmerling

Schweden steht vor einer Zäsur. Erstmals in der Geschichte des Landes kommt es zu einer Mitte-Rechts-Regierung, die von den bis dato verpönten Schwedendemokraten (SD) toleriert wird. Zwar standen die konservativen Moderaten (M), die Christdemokraten (KD), die Liberalen (L) und die SD im Wahlkampf erstmals Seit an Seit. Doch eine Regierungsbeteiligung der Schwedendemokraten schlossen Liberale und Christdemokraten aus. „SD sind in einer Regierung mit M und KD nicht willkommen. Langfristig kann die Partei aber Ministerposten erhalten“, betonte die KD-Vorsitzende Ebba Busch.  

Entsprechend lange dauerte die Regierungsbildung. Sollte sie eigentlich schon zwei Wochen nach der Wahl verkündet werden, verlängerten die Parteien ihre Gespräche immer weiter um jeweils einige Tage, ehe der Parteichef der Moderaten Sammlungspartei, Ulf Kristersson, am 14. Oktober dann doch die Einigung verkündete. 

Am Montag wurde Kristersson mit 176 Ja- zu 173 Nein-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. Die liberale Zeitung Dagens Nyheter sprach denn auch von einem „Jackpot für die Schwedendemokraten“. Auch die Oppositionsparteien rund um die frühere Ministerpräsidentin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten sehen in den Schwedendemokraten die wirkliche Macht in dem skandinavischen Land und den neuen Premierminister Kristersson lediglich als „Marionette“.

 Das eigentliche Sagen habe vielmehr der Vorsitzende der nach Ansicht der Opposition „rechtsradikalen“ Schwedendemokraten (SD), Jimmie Åkesson, dessen Partei nach den Sozialdemokraten (30,3 Prozent) mit 20,5 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft wurde und 73 Abgeordnetenmandate errang.

Die neue Regierung hat sich viel vorgenommen. Besonders soll auch die bislang nahezu ungezügelte Einwanderung in den Griff bekommen werden. Diese hatte zuletzt für immer mehr Probleme gesorgt, bis hin zu regelrechten „No-Go“-Zonen in  Malmö. In manche Viertel, so etwa Rosengård, traut sich selbst die Polizei nur unter erhöhten Vorsichtsmaßnahmen. Zudem werden Medienberichten zufolge immer mehr schwedische Städte von Clans beherrscht.

Die an der Regierung beteiligten Liberalen kündigten hierzu umfangreiche Schritte an, angefangen von verdeckten Maßnahmen, Durchsuchungszonen und anonymen Zeugen bis hin zu Aufenthaltsverboten und der Abschaffung des Strafrabatts für über 18jährige. Hierzu wird der Erklärung der Liberalen zufolge eine vollständige und umfassende Überprüfung der Strafgesetzgebung durchgeführt, um unter anderem die Strafen für Gewalt- und Sexualdelikte zu verschärfen. Auch werden die Polizei, der Strafvollzugsdienst und andere Justizbehörden erheblich ausgebaut. 

Dies soll Hand in Hand mit einer deutlich verschärften Migationspolitik gehen. So werde die schwedische Einwanderungspolitik an das Mindestniveau des EU-Rechts angepaßt, wobei internationale Konventionen, einschließlich des Asylrechts, eingehalten würden. Darüber hinaus gibt es die folgenden Reformen: verstärkte Nutzung biometrischer Daten, verbesserte Möglichkeiten für interne Ausländerkontrollen, verstärkte Rückkehrarbeit, verschärfte Bedingungen für die Familienmigration sowie Transitzentren während des gesamten Asylverfahrens, Ausweisung bei mangelndem Wohlverhalten und Widerruf von Aufenthaltsgenehmigungen.

Die Integrationspolitik wird dahingehend geändert, daß sie sich stärker an den Anforderungen orientiert und die langfristig in Schweden lebenden Personen die Verantwortung dafür übernehmen müssen, Teil der Gesellschaft zu werden.

Auf die derzeitige Wirtschafts- und Energiekrise will die neue Regierung zum Beispiel mit einer Senkung der Verwaltungskosten sowie einer „umfassenden Reform der Sozialleistungen“ reagieren. Gleichzeitig sollen die Steuern für Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen sowie für Rentner und Sparer gesenkt werden. Gleichzeitig will die Regierung die Haushalte für die hohen Energiepreise entschädigen und eine „erhebliche Senkung“ der Brennstoffpreise veranlassen, unter anderem durch die Senkung der Reduktionsverpflichtung auf das EU-Mindestniveau. 

Die frühere Regierungschefin Andersson sieht das kritisch. Sie warf der neuen Regierung vor, bereits jetzt „ihre Versprechen an die Wähler zu verraten“. Die vorgelegten Pläne würden „zwar interne Probleme in der rechten Zusammenarbeit lösen, aber entscheidende soziale Probleme völlig verpassen, die die Schweden ärmer machen könnten“.

Schwedendemokraten setzten sich in Fragen der Migration durch  

Ebba Busch sah das anders: „Herzlichen Glückwunsch, Schweden! Wir haben nun Ulf Kristersson zum schwedischen Ministerpräsidenten gewählt, und die Arbeit zur Lösung aller Probleme, mit denen Schweden konfrontiert ist, kann jetzt ernsthaft beginnen“, schrieb sie auf Facebook

Für die Christdemokraten gehe es nun darum, in dieser Legislaturperiode die „elementarsten Funktionen des Staates aufzubauen und zu stärken: Gesundheitsversorgung, Sicherheit, Energieversorgung – alles, was einfach funktionieren“ müsse, betonte die 35jährige und unterstrich: „Die Probleme Schwedens werden nicht über Nacht gelöst werden. Veränderungen brauchen Zeit – aber jetzt beginnt diese Arbeit.“

„Wir hätten gern eine Mehrheitsregierung gesehen, an der wir beteiligt wären. Jetzt, wo wir nicht dabei sind, ist es für uns äußerst wichtig, daß wir eine substanzielle politische Einigung erzielen konnten“, sagte der SD-Vorsitzende Jimmie Åkesson. Vor allem hätten die Schwedendemokraten eine Reihe von Verschärfungen im Bereich der Migration durchgesetzt, so der 43jährige, der die kommende Migrationspolitik auch als „Paradigmenwechsel“ bezeichnete. Dazu gehören nach Angaben des Nachrichtensenders SVT Nyheter eingeschränkte Rechte im Asylverfahren, befristete Aufenthaltsgenehmigungen als Standard und stark verschärfte Anforderungen für die Staatsbürgerschaft.