© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Geht die EU erneut den Weg des gemeinsamen Schuldenmachens?
Energetische Eurobonds
Joachim Starbatty

Wegen der Preisexplosion im Zuge der Energieverknappung hat die Ampel ein 200-Milliarden-Euro-Paket für Bürger und Unternehmen beschlossen. Dieses Sobventionspaket hat in der EU Unfrieden ausgelöst: Die Bundesregierung verzerre den Wettbewerb und schädige Betriebe aus anderen Staaten. Ein zweiter Vorwurf trifft einen offenen Nerv bei deutschen Politikern: Das finanzstarke Deutschland verstoße gegen die EU-Solidarität. Olaf Scholz ist sofort eingeknickt. Der Kanzler hat Mittel aus dem Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ in Aussicht gestellt. Einige Mittel seien noch nicht ausgeschöpft und könnten für aktuelle Notlagen in EU-Staaten genutzt werden.

Da das Geld aber bereits einzelnen Mitgliedstaaten zugewiesen wurde und schließlich auch abgerufen wird, müssen zusätzliche Mittel her. Es ist naheliegend, sich am Vorbild des Wiederaufbaufonds zu orientieren: Die EU nimmt auf den Finanzmärkten Kapital auf. Wenn das französisch-deutsche Tandem sich wieder für eine solche Gemeinschaftsanleihe ausspricht, werden auch die Niederlande und Österreich nicht nein zu „Eurobonds“ sagen können. Sie wollen nicht als europäische Störenfriede am Pranger stehen.

Noch will die FDP einer erneuten Gemeinschaftsanleihe nicht zustimmen. Für Fraktionschef Christian Dürr kommt ein Finanzierungsinstrument wie bei der Corona-Pandemie nicht in Frage; es brauche mehr finanzpolitische Eigenverantwortung in der EU, nicht mehr gemeinsame Haftung. Der 45jährige Haushaltsexperte hat recht, doch zeigt die ordnungspolitische Praxis in der EU, daß auf Eigeninitiative aufbauende ordnungspolitische Grundsätze regelmäßig auf dem Altar der politischen Opportunität geopfert werden. Auch wird die EU-Kommission darauf verweisen, daß einzelne Länder bei der Finanzierung energiepolitischer Hilfsmaßnahmen überfordert und finanzstarke Mitgliedstaaten zu finanzieller Hilfe verpflichtet seien. Zwei maßgebliche Mitglieder der EU-Kommission haben sich bereits in diesem Sinne geäußert. Sie können darauf verweisen, daß die nationalen Belastungen höher sind als bei der Corona-Pandemie.

Entscheidend ist letztlich die Standfestigkeit von Finanzminister Christian Lindner. Als ein Löwe gegen finanzpolitische Begehrlichkeiten und ordnungspolitische Sündenfälle hat sich der FDP-Chef bisher nicht erwiesen. Bei der Abstimmung im Bundestag über die gemeinsame Finanzierung des EU-Wiederaufbaufonds hat er sogar mit ja gestimmt. Die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion konnten für ihre Zustimmung immerhin ins Feld führen, daß sonst die Regierung von Angela Merkel gestürzt wäre. Aber Lindner war damals in der Opposition und mußte nicht zustimmen. Jetzt trägt er Regierungsverantwortung. Er muß damit rechnen, bei einem Nein selbst am Pranger zu stehen.

Daß Lindner jetzt um des EU-Friedens willen zustimmt, wäre verständlich. Ein schuldenfinanziertes Paket wird wohl – anders als jüngst beim britischen Pfund – keine unmittelbaren Konsequenzen für den Außenwert des Euro haben. Aber die Finanzwelt wird bemerken, daß die Länder hinter dem Euro nicht auf Eigeninitiative setzen, sondern den leichten Weg des gemeinsamen Schuldenmachens gehen. Der Marsch in Richtung Weichwährung ist damit vorgezeichnet.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom. Er war Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und EU-Abgeordneter.