© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

CD-Kritik: Dmitri Schostakowitsch, Alexander Melnikow
Zur Wiedervorlage
Jens Knorr

Nach seiner Rückkehr vom Leipziger Bachfest 1950 schrieb Schostakowitsch in unfaßbar kurzer Zeit den zweiteiligen Zyklus der 24 Präludien und Fugen op. 87. Es war die Siegerin des Leipziger Bachwettbewerbs Tatjana Nikolajewa, die sie noch während ihrer Entstehung einstudierte, erstmals als Gesamtzyklus aufführte und auf dem Konzertpodium durchsetzte. Zu Zeiten der zweiten Kampagne gegen den Komponisten stellte Nikolajewa die Klassizität des Zyklus heraus und diesen in die große europäische Tradition des Komponierens hinein.

Der russische Pianist Alexander Melnikow, 1973 in Moskau geboren, rückt in seiner Einspielung von 2008/09 die Komposition in den Mittelpunkt des Interesses und, vor allem Ergründeln, was uns denn der Komponist mit seiner Musik hat sagen wollen, die Eigenaussage der Musik. Melnikow faßt den Zyklus – ganz im Sinne Detlef Gojowys – als „eine eigene Spielart ‘meditativer Musik’“ auf. Er besteht auf dem eingeschrieben Biographischen, ohne es der musikalischen Faktur überzuordnen. Er deutet jedes der 48 Stücke als je eigene Meditation über musikalische und außermusikalische Fragestellungen aus, ohne sie gleichzurichten und doch mit geheimnisvollen Fäden verwebend. Er beläßt ihnen ihre Vieldeutigkeit.

Der Wiederveröffentlichung fehlt die der Erstveröffentlichung beigegebene Bonus-DVD mit dem erhellenden Interview, das Andreas Staier mit Melnikow geführt hat. Aber auch ohne sind die Melnikows Spiel eingesenkten politischen Botschaften unüberhörbar.

Dmitri Schostakowitsch Präludien und Fugen op. 87. harmonia mundi 2022 www.harmoniamundi.com