© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Das Mutige kommt zu kurz
Die Buchverlage bekommen die Kaufzurückhaltung der Deutschen zu spüren
Paul Leonhard

Buchverlage haben es derzeit schwer. Sie können mangels Papierkontingenten kaum noch reagieren, wenn sich Titel besser verkaufen als kalkuliert. Ein schneller Nachdruck ist fast unmöglich, denn die Vorlaufzeiten haben sich um das Vier- bis Sechsfache verlängert. Wer aber aus Angst vor Lieferlücken gleich die Auflage erhöht und dann doch nicht den Geschmack des Publikums trifft, kann finanziell schnell in eine Schieflage geraten. Ohnehin klagt die Branche seit dem Ende der coronabedingten Einschränkungen über steigende Energie- und Transportkosten, Holzmangel und unsichere Lieferketten. Laut Statistischem Bundesamt sind die Druckkosten für Bücher im Mai 2022 um 21,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen.

In einer Umfrage des Bundesverbandes Druck und Medien gaben 80 Prozent der deutschen Druck- und Medienunternehmen an, die Situation auf den Papiermärkten würde ihre Geschäfte erheblich beeinträchtigen, jeder fünfte Betrieb sprach von einer existenzgefährdenden Situation. Dabei hatte die Branche noch im Jahr 2021 einen Umsatz von rund 9,63 Milliarden Euro. Das waren 3,5 beziehungsweise 3,6 Prozent mehr als 2020 und 2019.

Forderungen nach einem Eingreifen der Politik

Die Deutschen griffen vor allem zu Romanen und Erzählungen, weswegen die Unterhaltungsliteratur ein Drittel des Gesamtumsatzes ausmacht, gefolgt von Kinder- und Jugendbüchern (+4,4 Prozent), Sachbüchern (3,0) und Ratgebern (0,5). Lediglich bei der Reiseliteratur brach der Umsatz um 0,4 Prozent ein. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 27 Millionen Bücher verkauft. Das sind zwar 5,1 Prozent weniger als 2020, aber die Käufer gaben mehr Geld für weniger Bücher aus.

Dabei gibt es zwei interessante Phänomene. Das erste: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 19 Jahre lesen wieder mehr. Die durchschnittliche Kaufintensität stieg bei dieser Käufergruppe von durchschnittlich 6,8 Büchern 2019 auf acht Bücher 2021, die Ausgaben steigerten sich um 26,9 Prozent. Gleichzeitig sank allerdings die Zahl der Erstausgaben im Kinder- und Jugendbereich um 9,2 Prozent. Das zweite Phänomen: Der Hörbuch-Download-Markt ist nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels um 20,4 Prozent gestiegen, die Flatrate-Angebote für E-Books und Hörbücher sogar um 24,1 Prozent.

Mit den durch die Energiepolitik der Bundesregierung und die Rußlandsanktionen gestiegenen Alltagskosten werden aber selbst die leseaffinen Deutschen ihren Verlagen immer untreuer. Das könnte zum Teil auch daran liegen, daß in Zeiten knapper Budgets Verlage auf „sichere“ Titel setzen und „das Abseitige, Mutige, Innovative dann manchmal zu kurz kommt“, wie die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs, konstatiert. Vielleicht haben die Verlage aber auch nur auf eine Feststellung des Börsenvereins zum Leseverhalten reagiert, laut der Bücher den „aufmerksamkeitsschwachen, bequemen und unentschlossenen Menschen von heute“ überfordern. Zudem haben Inspiration und Ermutigung, die Kunden auch neue, unbekannte Titel entdecken lassen, während der Pandemiezeit aufgrund monatelang geschlossener Buchhandlungen gefehlt.

Die gegenwärtige allgemeine Kaufzurückhaltung schlage sich auch im Buchhandel nieder, beklagt Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. In den ersten sechs Monaten sank der Umsatz im Buchhandel vor Ort gegenüber dem ersten Halbjahr des Vor-Corona-Jahres 2019 um 11,1 Prozent. Den Online-Handel eingerechnet belief sich das Minus auf drei Prozent. Parallel steigen die Herstellungs- und Versandkosten, so daß höhere Buchpreise als unvermeidlich gelten. Aber wieviel ist der Verbraucher bereit, für ein gedrucktes Werk zu bezahlen, wenn er wegen steigender Heiz-, Strom-, Wasser-, Lebensmittel- und Fahrtkosten ohnehin bald jeden Cent mehrmals umdrehen muß? Die Verlage müssen hier sorgfältig kalkulieren, denn wegen der in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenen Buchpreisbindung können einmal aufgerufene Preise nicht einfach nach unten korrigiert werden. Deswegen appelliert beispielsweise Peter Stephanus, Geschäftsführer der Verbundgruppe LG Buch, an die Verlage: „Seien Sie sich der Verantwortung bewußt, die Sie mit der Festlegung der Ladenpreise für die gesamte Wertschöpfungskette im Buchhandel haben.“

Kraus vom Cleff fordert ein Eingreifen der Bundespolitik. Wenn die Buchbranche weiterhin ihren wichtigen kulturellen und gesellschaftlichen Auftrag in der Gesellschaft erfüllen solle, müsse die Politik zügig handeln und die Mehrwertsteuer auf Bücher von gegenwärtig sieben auf null Prozent bei vollem Vorsteuerabzug senken. Möglich wäre das. Auch eine Staatsförderung für kleine und mittlere Verlage ist mittlerweile ins Spiel gebracht worden, damit der deutsche Buchmarkt in seiner gegenwärtigen Vielfalt bestehen bleibt. Dafür seien aber auch strukturelle Förderungen vonnöten, mahnt der Börsenvereinschef an: Die Branche brauche „durchdachte und finanziell gut ausgestattete Programme für die Belebung der Innenstädte, wie sie etwa der Deutsche Kulturrat zusammen mit einer Verbändeallianz aktuell fordert“. Buchhandlungen könnten hier als „kulturelle Anziehungspunkte und Dritte Orte par excellence“ eine wichtige Funktion übernehmen.