© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Geschützte Ideologie
Wie der Kapitalismus sozialistische Träume konserviert
Paul Leonhard

Glückliche Menschen im Zentrum Berlins. Jubelnde Arbeiter in Dresden. Selbstbewußte Frauen in sorbischen Trachten in Cottbus. Bergbaumotive im sächsischen Freiberg, Reagenzgläser in Schwedt. Dazu rote Fahnen, Friedenstauben und bedingungsloser Fortschrittsglaube überall dort, wo einst die Sozialisten die Menschen unterdrückten, aber sich den Anschein gaben, eine bessere, fortschrittlichere Welt aufzubauen. „Es gibt nur einen Adel, den Adel der Arbeit“, steht gar unter einem einen Arbeiter, einen Bauern und einen Techniker zeigenden Relief an der Fassade eines Wohnhauses auf der Faulmanngasse in Wien. Wobei über deren Abriß gerade diskutiert wird. 

Der der Landwirtschaftsschule in Bruck ist dagegen beschlossen, und mit ihr wird auch ein Außenwandbild verschwinden, das eine Garben bindende Bäuerin und einen seine Sense schärfenden Bauern mit dem Spruch „Ohne Fleiß kein Preis“ zeigt. Das von Karl Sonner geschaffene Fresko hat wie das Wiener Relief das Pech, zur falschen Zeit für die falschen Sozialisten entstanden zu sein. Denn in beiden Fällen handelt es sich um NS-belastete Kunst, in den vorherigen um Werke des sozialistischen Realismus. Und letzterer gilt – trotz aller Ideologiebehaftung – als unbedingt schützenswert.

Für eine Million Euro wird gerade ein Wandmosaik in Halle-Neustadt saniert, das die „Einheit der Arbeiterklasse und Gründung der DDR“ beschwört. Und in Dresden wurde aus Trümmerstücken ein 7,74 mal 3,42 Meter großes Sandsteinrelief von 1951 neu zusammengesetzt. Es erinnert an den ersten Fünfjahrplan des Arbeiter- und Bauernstaates, und der dargestellte siegesgewisse Arbeiter blickte seinerzeit kilometerweit über die Trümmerlandschaft der von anglo-amerikanischen Terrorfliegern zerstörten einstigen Barockstadt.

Was mit einem 40 Tonnen schweren Relief begann, fand seine Fortsetzung am und im Kulturpalast am Altmarkt, einem einzigartigen Propagandabau, in dem sich die Kommunisten selbst feierten. An der Fassade dargestellt als „Weg der Roten Fahne“, inzwischen durch Gelder saniert, die das einst überwunden geglaubte kapitalistische Gesellschaftssystem erwirtschaftet hat.

Zwei Prozent der Bausumme von Verwaltungs-, Kultur- und Sozialbauten, so war es in der DDR zur Unterstützung der Künstler vorgeschrieben, sollten für die künstlerische Ausgestaltung verwendet werden. Neben hochideologischer Bildausstattung wie am inzwischen auch sanierten ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude entstand insbesondere in der Spätzeit des Sozialismus auch abstrakte Kunst, abgenickt von den Kunstprofessoren, aber oft angefeindet von den Funktionären.

Nach Schätzungen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) existieren noch um die 10.000 „Kunst am Bau“-Reliefs, Wandbilder, Skulpturen und Brunnen in den neuen Bundesländern, die heute als „international einzigartiger Kunst-Bestand“ gewertet werden.

Mehrere Meter DDR-Wandmalerei

In Halle-Neustadt werden gerade die noch existierenden Wandbilder des spanischen Künstlers Josep Renau (1907–1982) neu entdeckt. Dieser war einst für die künstlerische Gestaltung eines aus elfgeschossigem Internatsgebäude und dazugehöriger Mensa bestehenden Neubaukomplexes auserwählt worden. Während der Flachbau samt Wandbild „Marsch der Jugend in die Zukunft“ 1995 abgerissen wurde, hat sich inzwischen die Stimmung bezüglich der DDR-Kunst so gewendet, daß die jeweils 35 Meter hohen und aus fast 11.000 Fliesen bestehenden monumentalen Mosaikbilder an den beiden Treppentürmen des Plattenbaus erhalten werden müssen. 

Auch in Erfurt setzte eine Bürgerinitiative nicht nur den Erhalt des ebenfalls zum Abriß vorgesehenen 30 Meter langen und sieben Meter hohen Mosaiks „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“ nach langem Ringen durch, sondern auch seine Sanierung. Schließlich werde das Ideal einer Gesellschaft dargestellt, „welche die Kräfte und Früchte der Natur zum Wohlstand der Menschheit nutzt“.

Daß eine solche auch gegen ihre Feinde verteidigt werden mußte, zeigen noch heute am Gebäude des Bundesfinanzministeriums marschierende Frauenkolonnen in den blauen Uniformblusen der Kampfreserve der Arbeiterklasse. Oder Soldaten mit Maschinenpistolen und dem für die NVA typischen, aber noch für die deutsche Wehrmacht entwickelten Stahlhelm, der somit beide sozialistische Systeme manifestiert – zu entdecken an der Rückseite des einstigen „Hauses des Lehrers“ nahe dem Berliner Alexanderplatz. Die Propaganda der Kommunisten darf auch über den Untergang ihres eigenen Staates hinaus die Helden des Marxismus und Politiker wie Walter Ulbricht feiern und die Lüge glücklicher Arbeiter und Bauern im Sozialismus glorifizieren. Utopien bleiben auch heute wichtig.

Foto: Mosaikfries „Unser Leben“ von Walter Womacka nach der Restaurierung am „Haus des Lehrers“ in Berlin: Hohe Kosten