© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Hinterzimmer und Gewaltexzesse
Eine Revolution nur unter Vorbehalt: Ralf Zerback präsentiert die Zeit zwischen 1932 und 1934 als einen deutschen Gewaltrausch
Stefan Scheil

Die Deutschen stehen im Ruf, in ihrer Geschichte lange keine Revolution hinbekommen zu haben. Warum diese Meinung herrscht, ist nicht so eindeutig zu sehen, denn von der Ära der Bauerkriege und der Reformation über den bürgerlichen Paulskirchen-Aufstand, den November-Umsturz von 1918, bis zur „Wende“ von 1989 gab es in Deutschland eine ganze Reihe von Begebenheiten zweifelsfrei revolutionären Charakters. Und dann wäre da sogar noch mindestens eine weitere zu nennen: die Revolution von 1932 bis 1934, damals auch oft als „nationale Erhebung“ bezeichnet.

Der Historiker Ralf Zerback setzt den Begriff Revolution aber stets in Anführungszeichen, wenn er diese Zeit schildert. Er scheint es als unzulässige Aneignung zu verstehen, wenn damalige Akteure wie Hitler oder Goebbels sich diesen Begriff für ihre Taten zu eigen machten. Als „Nationale Erhebung“ kommt der Machtumbruch von 1933 bei Zerback überhaupt nicht vor. Er lobt statt dessen die „analytische Kraft“ der zeitgenössischen Polemik des Sozialdemokraten Kurt Schumacher, der Nationalsozialismus sei ein „dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen“. Eine Analyse wie Rainer Zitelmanns Dissertation „Hitler – Selbstverständnis eines Revolutionärs“ fehlt dagegen selbst in den Literaturangaben. Autor Zerback ist als Historiker mit eigenen Publikationen vor allem über das Bürgertum im 19. Jahrhundert und eine Biographie über den 1848 erschossenen Paulskirchenrevolutionär Robert Blum bekannt. Beruflich gesehen verdient er seinen Lebensunterhalt mit Beiträgen in der Wochenzeitung Die Zeit und anderen Organen des bundesdeutschen Mainstreams. Wer dies weiß und dazu noch auf dem Klappentext des Verlages lesen muß, Anfang der 1930er Jahre hätten „schon einmal Rechtspopulisten die Gesellschaft gespalten“ und „einen totalen Machtanspruch durchgesetzt“, der geht mit geringen Erwartungen an die Lektüre.

Das Buch erweist sich allerdings als besser denn befürchtet. Natürlich wird hier nichts „erstmals“ erzählt, wie der Verlagstext sich ebenfalls nicht entblödet zu behaupten. Vielmehr ist das ganze Szenario der ausgehenden Ära des Kanzlers Heinrich Brüning, der darauf folgenden Kanzlerschaften von Franz von Papen und Kurt von Schleicher, die Reichspräsidentenwahlen Hindenburg gegen Hitler von 1932, schließlich die Verhandlungen in Hinterzimmern und in der Dahlemer Villa Joachim­ von Ribbentrops um die Jahreswende 1932/33, die schließlich zur Kanzlerschaft Hitler führten, schon ungezählte Male aufgearbeitet worden. Das gleiche gilt für die eigentliche Machtergreifung des Nationalsozialismus nach dem Reichstagsbrand im Februar und den März-Wahlen von 1933, dem Ermächtigungsgesetz und schließlich dem Röhm-Putsch des Sommers 1934, sowie dem bald darauf folgenden Tod des greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der aus dem Kanzler Hitler endgültig den „Führer“ an der Staatsspitze werden ließ.

Zerback arbeitet das alles auf etwa 300 Seiten recht brav ab, auch ganz flüssig lesbar. Eigene Akzente sucht man allerdings weitgehend vergeblich. Daß die nationalsozialistische Machtübernahme laut Buchtitel ein „Triumph der Gewalt“ gewesen sein soll, dürfte eine Anspielung auf Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“-Parteitagsfilm von 1934 sein. Es ergibt sich aber auch bei Zerback wenig Neues zu diesen Vorgängen. Selbst die Gewaltexzesse der frühen Konzentrationslager, die laut Ernst Jünger schon im Frühjahr 1933 gereicht hatten, um tausend Jahre Schande über das Land zu bringen, werden anhand von etwas dürftigen Quellen eher gestreift, als daß sie im Zentrum der Darstellung stehen würden. 

Ob es nun diese, teilweise sogar öffentlich inszenierte Revolutionsgewalt gewesen ist, die das Land damals prägte, oder eben doch die von vielen Beobachtern vermerkte nationale Aufbruchstimmung, das wäre eine interessante Frage. Schließlich schien sich die Hoffnung breiter Bevölkerungsschichten auf Überwindung von sozialer Not in Folge der Weltwirtschaftskrise durch die Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu erfüllen. Das ließ nicht wenige Deutsche die Gewaltexzesse gegenüber politischen Gegnern der Nationalsozialisten in den ersten Monaten 1933 zähneknirschend mit der besänftigenden Formel „Wo gehobelt wird, fallen Spähne“ ertragen. Revolutionen pflegen meist beides zu verbinden. Zerback beschweigt aber eine Perspektive konsequent und zieht statt dessen die bundesrepublikanisch erwartbaren Linien in Richtung Holocaust und Weltkrieg aus. Tatsächlich braucht er am Ende ganze zwei Sätze, um aus dem Jahr 1934 zum „Weltkrieg mit 60 Millionen Toten“ zu kommen, den – ganz allein, versteht sich – Hitlers Außenpolitik verursacht hätte. Letztlich sind solche Darstellungen doch eher überflüssig und inzwischen dankenswerterweise auch etwas aus der Zeit gefallen. Es hat sich herumgesprochen, daß die nationalsozialistische Revolution etwas anderes gewesen ist als „Rechtspopulismus“.

Ralf Zerback: Triumph der Gewalt. Drei deutsche Jahre 1932 bis 1934. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2022, gebunden, 320 Seiten, 25 Euro