© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Frisch gepreßt

Leviathan. Wem nicht reflexartig „Der Führer schützt das Recht“ einfällt, wenn er Carl Schmitts Namen hört, der assoziiert Freund-Feind, Ausnahmezustand oder: Politische Theologie. Um so merkwürdiger, daß trotz zahlreicher Studien, die sich der Frage widmen, inwieweit der Staatsrechtler Schmitt ein „politischer Theologe“ war, die in seinem Nachlaß schlummernden Korrespondenzen mit „Gottesgelehrten“ bislang unbeachtet blieben. Die nun vorgelegte Edition des schmalen, von 1963 bis 1966 geführten Briefwechsels zwischen Schmitt und dem von Karl Barth geprägten Berliner Theologen Dietrich Braun (1928–2014) ist also eine Premiere: „Ein erstes publikes Zeugnis von Schmitts lebenslangem Gespräch mit (katholischen wie protestantischen) Theologen“. Der Verfasser des notorisch als „antisemitisch“ klassifizierten Büchleins „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“ (1938), das Günter Maschke gegen erhebliche Bedenken selbst seines Verfassers erst 1982 in einer Neuausgabe vorlegen konnte, tauscht sich darin mit dem Nachwuchstheologen Braun über dessen Dissertation „Der sterbliche Gott oder Leviathan gegen Behemoth“ (1963) intensiv aus. Das scheint ein Leckerbissen nur für Spezialisten zu sein. Doch wie immer beim Thema Hobbes geht es tatsächlich um allgemein interessierende Fragen von „wahrhaft unwiderstehlicher Aktualität“. Schade nur, daß die Einleitung über den geistesgeschichtlichen Resonanzboden des Briefgesprächs nicht gründlicher informiert, zumal Brauns gedruckte Doktorarbeit, eine antiquarische Seltenheit, den wenigsten Lesern bekannt sein dürfte. (ps) 

Dietrich Braun, Martin Braun, Mathias Eichhorn, Reinhard Mehring (Hrsg.): Erst Leviathan ist der Ausdruck vollendeter Reformation. Briefwechsel Carl Schmitt / Dietrich Braun. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2022, gebunden, 175 Seiten, 22 Euro





Führerskizzen. Kann eine direkte Beschreibung der nächsten Umgebung Hitlers als belletristisches Werk gelingen? Sie kann. Felix Hartlaub, der die Kriegsjahre als Mitarbeiter am Kriegstagebuch unter anderem in der Wolfsschanze erlebte, fertigte in dieser Zeit heimlich literarische Skizzen und stimmungsvolle Texte an. Die nun von Suhrkamp veröffentlichte Zusammenstellung bietet einen ungewöhnlichen Blick auf das Tagesgeschehen im Umfeld des Diktators aus der Perspektive der dort arbeitenden Angehörigen des Personalbestandes. Bei der ausgiebigen Beschreibung der Landschaften um die „Führerhauptquartiere“ holt Hartlaub den Leser mitunter brachial in die historische Realität zurück. Die unvermittelte Erwähnung der Massenmorde kontrastiert mit den zuvor gemalten Bildern, die vor dem geistigen Auge entstanden sind. Das gescheiterte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, das Hartlaub in der „Wolfsschanze“ miterlebte, gab dem Historiker neuen Antrieb, an seinen literarischen Skizzen, die er in seiner Pariser Zeit begonnen hatte, weiterzuarbeiten. Zum Glück für den Leser überstanden sie die Kriegswirren und liegen nun vor. (ag)  

Felix Hartlaub: Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, gebunden, 192 Seiten, 23 Euro