© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Werte und Vertrauen wurden vernichtet
In Zeiten hoher Inflation erinnert der Wirtschaftshistoriker Sebastian Teupe an die Hyperinflation von 1923 und ihre Folgen
Bruno Bandulet

Wenn ein Wissenschaftler einerseits wohltuend allgemeinverständlich schreibt, andererseits auf häßliche Weise gendert, stellt sich die Frage, warum er sich und seinen Lesern das antut. Jedenfalls sind Satzstücke wie „Lohnempfänger:innen, Konsument:innen und Händler:innen“ für jemanden, der auf korrektes Deutsch Wert legt, schwer verdaulich.

Gleichwohl liest man Teupes Buch mit Gewinn. Es erscheint zur rechten Zeit. 2023 ist es hundert Jahre her, daß Deutschland den Schrecken einer Hyperinflation mit monatlichen Preissteigerungen von 50 Prozent und mehr erlebte, daß die Sparer am Ende alles verloren, daß der Mittelstand verarmte und das Ende aller Sicherheit erfuhr. Inflationsraten von aktuell zehn Prozent lassen böse Erinnerungen wach werden, auch wenn die Umstände, mit denen Deutschland heute konfrontiert ist, ganz andere sind.

Sebastian Teupe, Juniorprofessor an der Universität Bayreuth, erzählt anschaulich die Geschichte der großen Inflation: den Beginn der Teuerung während des Weltkrieges, die ungewisse Gemengelage in den ersten Nachkriegsjahren, den Absturz in die Hyperinflation im Sommer 1922, die Zwangslage der Reichsregierung angesichts von Ruhrbesetzung, Reparationen und Staatsverschuldung, die Einführung der Rentenmark als Parallelwährung und schließlich die Währungsreform von 1924, als die Reichsmark die bis 1914 goldgedeckte Mark des Kaiserreichs ersetzte. 

Dabei wird deutlich, daß der vollständige Ruin der deutschen Währung nur im Rückblick wie zwangsläufig erscheint. Nicht zuletzt ausländische Spekulanten wetteten immer wieder darauf, daß sich die Mark doch wieder erholen würde. Den Verlust des Vertrauens in die Währung datiert der Autor auf das Jahr 1922, als die Unternehmen dazu übergingen, ihre Geschäfte statt in Papiermark in Dollar und Pfund zu tätigen.

Teupe ist kein Anhänger der Quantitätstheorie des Geldes. Im Literaturverzeichnis findet sich nicht einmal der Name Milton Friedman, von dem der Satz stammt: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.“ Er gibt aber einen guten Überblick über die inflationstreibenden Faktoren einschließlich des Absturzes der Mark an den Devisenmärkten. Tatsächlich bestand eine enge Korrelation zwischen deutschen Großhandelspreisen und dem Kurs der Mark gegen Dollar. Hier liegt durchaus eine Parallele zur heutigen Situation: der Verfall der Schwachwährung Euro am Devisenmarkt ist ebenfalls mitverantwortlich für die zum Beispiel im Vergleich zum Schweizer Franken exorbitante Geldentwertung.

Besonders lesenswert ist das Kapitel über die im Oktober 1923 beschlossene Rentenmark auch deswegen, weil die Einführung einer deutschen Parallelwährung künftig die Option böte, dem Eurodilemma zu entkommen, ohne die Europäische Währungsunion zu verlassen. Obwohl die Rentenmark kein gesetzliches Zahlungsmittel war und nicht direkt in Dollar umgetauscht werden konnte, wurde sie von Anfang an akzeptiert. Sie galt als wertbeständig und war es auch, weil sie gedeckt war, und zwar durch eine Grundschuld auf nahezu alle steuerpflichtigen Grundstücke im Reich – eine Alternative zur Golddeckung, die funktionierte.

Unhistorisch ist die Behauptung Teupes, die Weichen für eine weitere Komplettvernichtung des Geldes seien schon 1933 gestellt worden. Und falsch ist die Darstellung der Vorgänge vom Januar 1939. Nachdem alle acht Mitglieder des Reichsbankdirektoriums in einem Schreiben an Hitler vom 7. Januar die „verheerenden Wirkungen einer uferlosen Ausgabenwirtschaft auf die Währung“ angeprangert hatten, wurden sechs von ihnen entlassen, darunter Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und der spätere Bundesbankpräsident Karl Blessing. Sie sind nicht etwa zurückgetreten, wie Teupe schreibt. 

Irritierend sind die unterschwelligen Rechtfertigungsversuche in Richtung EZB. So, wenn von einem „Mythos“ der Notwendigkeit niedriger Inflation die Rede ist oder davon, daß der Euro kein einziges Sparbuch „vernichtet“ habe. Man dürfe die Stabilität des Geldes nicht gegen die Stabilität der internationalen Ordnung ausspielen. Was soll das heißen? Im Bemühen, politisch korrekt auszusehen, relativiert der Autor sein eigenes, ansonsten kompetent ausgearbeitetes Thema.

Sebastian Teupe: Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation zwischen 1914 und 1923. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2022, broschiert, 336 Seiten, 32 Euro