© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Frisch gepreßt

Theoretisch stark. Der Wiener Professor für Kommunikationswissenschaften Maximilian Gottschlich versucht ein seit Jahrhunderten wichtiges Thema – bereits der Philosoph Arthur Schopenhauer beschäftigte sich mit dem Mitgefühl als tragender Säule des Menschseins – mit modernen Augen anzugehen. Er will zeigen, „wie das Digitale im allgemeinen und soziale Medien im speziellen systematisch unsere Fähigkeit zum Mitgefühl untergraben“, und schreibt dafür ein über 250 Seiten starkes Plädoyer, um das Mitgefühl aller Bürger bei der Kommunikation wieder zu stärken und zu fördern. Beginnend bei den biologischen Grundlagen und den Spiegelneuronen arbeitet er sich vor zu der eigentlich erlebten Erfahrung des Mitgefühls, das immer eine irgendwie geartete Zweisamkeit bedingt. Viele hochrangige Vordenker zitierend geht der 1948 Geborene auch auf aktuelle politische Großlagen wie den Ukraine-Krieg, die Corona-Pandemie oder die Migrationskrise 2015 ein. Leider richtet er sein Augenmerk dabei ausschließlich auf die medial ohnehin gut ausgeleuchteten Schicksale. Theoretisch und sprachlich hervorragend schreibt der Autor über Ukrainer, geimpfte Alte und flüchtende Migranten aus Kriegsgebieten. Die Anfeindungen gegen Russen in Deutschland, egal wie sie zu Präsident Wladimir Putins Angriffskrieg stehen, oder die massiven verbalen Übergriffe gegen Ungeimpfte bleiben ebenso unerwähnt wie die wirtschaftlichen Intentionen vieler Einwanderer nach Europa. (mp)

Maximilian Gottschlich: Bedrohte Humanität. Plädoyer für eine empathische Kommunikationskultur. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2022, broschiert, 264 Seiten, 25 Euro





AfD und Identität. Die AfD hat es Johannes Hillje angetan. Der Politikberater ist ein Aktivist aus dem Dreieck öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Grüne Partei und Wissenschaftsbetrieb. Und nun seine in Buchform gegossene Dissertation zum Thema „Das Wir der AfD“. Hillje geht der Frage nach: „Inwiefern konstruiert die AfD in ihrer Social-Media-Kommunikation eine kollektive Identität unter ihrer Anhängerschaft (wir) und grenzt diese von anderen Gruppen (die Anderen) ab?“ Dazu untersucht er den „relevantesten Social-Media-Kanal der AfD-Bundespartei“ – ihren Facebook-Auftritt. Das Ergebnis dieser Fleißarbeit, für die er 1.175 Posts der AfD aus dem Jahr 2019 darauf untersucht, wie oft durch „identitätsmarkierende Begriffe“ wie „wir“ und „uns“ „Identitätskonstruktionen sprachlich konstruiert werden“: Es sind 1.298 Stück!  Der Autor kommt zu dem Schluß, daß die AfD sich im Parteienwettbewerb, jedenfalls in den sozialen Medien, eine Führungsposition erarbeitet hat. Stellt sich nur noch die Frage, warum die Grünen jetzt über einen Facebook-Ausstieg debattieren. (mec)

Johannes Hillje: Das Wir der AfD Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2022, broschiert, 279 Seiten, 32 Euro