© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Frisch gepreßt

Kermani. Wenn alternden Rockstars die Ideen für neue Stücke ausgehen – zugleich aber auch das Geld, dann bringen ihre Plattenfirmen gern ein Best-of-Album heraus. Zu verlockend ist die Gelegenheit, mit dem gestern komponierten auch heute nochmal zu verdienen. Ähnlich ticken Verlage, die mit gesammelten Kolumnen oder Zeitschriftenaufsätzen ihrer Top-Autoren die Penunzen ihrer Kunden wollen. Navid Kermani, eines der intellektuellen Schwergewichte der Republik, veröffentlicht in Zeitungen seit er 15 ist, darunter in der Süddeutschen, in FAZ oder Zeit. Seine nun erschienene Kompilation nennt der Schriftsteller und habilitierte Orientalist im Untertitel „33 politische Situationen“. Zeitlich zurück reicht sie bis 1993. Daß dem Verfasser die Stoffe nicht ausgehen, zeigt sein jüngster Beitrag aus der verheerten Ukraine, wo ihm ein orthodoxer Pater vor der Leichenhalle auf die Theodizee-Frage antwortet: „Nicht Gott hat getötet, Menschen haben getötet.“ Seine bereits im Oktober 2001 niedergeschriebene Beobachtung, daß in Teilen der islamischen Welt die Stimmung gegen den Westen und für die Terroristen kippte, war zwar nicht exklusiv, hatte sich zwischenzeitlich aber als zutreffend erwiesen. Unbelegt, aber sicher verkaufsfördernd ist dagegen Kermanis sechs Jahre alte These, Rechtspopulisten hielten die Würde nur eines Teils der Menschen für unantastbar. (vo)

Navid Kermani: Was jetzt möglich ist. 33 politische Situationen. Verlag C. H. Beck, München 2022, gebunden, 221 Seiten, 23 Euro





Piketty. Mit seinen Bestsellern „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ und „Kapital und Ideologie“ hat sich Thomas Piketty in den Medien bereits den Status eines Karl Marx der Neuzeit erschrieben. Nun legt er mit dem Buch „Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ eine komprimierte Version vergangener Werke vor. Seit Beginn der Industriellen Revolution nahm die Ungleichheit ab, bekennt der Sozialist Piketty gleich zu Beginn. Doch sei dies sicher kein Grund, die heutige soziale Ungleichheit nicht weiter zu bekämpfen. Bei dieser simplen und unterstützenswerten Botschaft bleibt es natürlich nicht. Pikettys Werk mündet in einer Reihe von Absurditäten. Da wäre etwa die Verklärung, der Sklavenaufstand auf Saint-Domingue (Haiti) von 1791 hätte das Ende des atlantischen Sklavenhandels eingeläutet. Reichlich seltsam mutet auch das Erkenntnis an, wonach Ungleichheit bloß eine „soziale, historische und politische Konstruktion“ sei. Wenn es jedoch eine ewige historische Konstante gibt, dann ist es wohl die Ungleichheit. Pikettys Argumentation besteht häufig aus zu einfachen oder sogar falschen Schlußfolgerungen, mit denen er die herrschende neoliberale Idee angreifen will. Doch der Neoliberalismus hat bessere Kritik verdient. (ha)

Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit. Verlag C. H. Beck, München 2022, gebunden, 264 Seiten, Abbildungen, 25 Euro