© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Schriller werdende Töne
Klima-Kleber: Sie nerven Autofahrer, stürmen Ministerien und zerstören Kunst
Julian Islinger

Da saßen sie also wieder. Neun anämisch wirkende Typen aus dem Endzeitkult der Klima-Apokalyptiker, die Hände festgeklebt am Boden des Porsche-Showrooms in Wolfsburg. Es waren allesamt Wissenschaftler, das machten sie deutlich mit ihrer Uniform aus frisch gekauften Laborkitteln, die selbst dem dümmsten Rezipienten signalisierte, daß hier Genies vom Kaliber eines Doc Brown Platz genommen hatten. Daß Geisteswissenschaftler keine Laborkittel tragen? Geschenkt.

Die Bilder, welche die Klima-Recken auf ihrem Twitter-Kanal „Scientist Rebellion“ hochluden, sollten aber auch das Mitleid des Betrachters erregen. Der Welt beinahe entrückt, weichen die traurigen Blicke der Wissenschaftsrebellen der Kameralinse aus, die fliehenden Denkerstirnen liegen in Falten, die Mundwinkel neigen sich gen Boden. Die Sache ist ernst, daran ließ man keine Zweifel. 

Um die Ernsthaftigkeit des Anliegens noch deutlicher zu machen, kündigten einige der weißbekittelten Bedenkenträger zusätzlich an, in den Hungerstreik zu treten. Die Botschaft: Ich könnte jetzt im Labor an einer Lösung arbeiten, aber stattdessen riskiere ich hier mein Leben für den Fortbestand von Mutter Erde. Die Aktivisten waren demnach bereit, bis ans Äußerste zu gehen.

Bis VW den Lichtschalter betätigte. Und plötzlich konnte ganz Deutschland in den sozialen Netzwerken mitverfolgen, wie der bierernste Protest einer nöligen Wehleidigkeit wich. Tatsächlich erwarteten die Wissenschaftler, daß VW die Besetzung als wohlwollender Gastgeber begleiten würde. Sogar Schüsseln zum Verrichten der Notdurft sollten Volkswagen-Mitarbeiter den Festgeklebten unter die Gesäße schieben, Heizung und Licht nachtsüber für Komfort sorgen, obwohl doch gerade der ökologisch grundierte Zeitgeist dazu rät, an beidem zu sparen.

Und so verendete der heroische Widerstand im Showroom kläglich an den Widrigkeiten der Realität. Übrig blieb der Öffentlichkeit das Bild einer verweichlichten Bande von Störenfrieden, deren Anspruchshaltung nicht wirklich dazu angetan ist, für Sympathien in breiten Bevölkerungsschichten zu werben. Auch Tomatensuppe und Kartoffelbrei auf die Bilder alter Meister konnten die Deutschen bisher nicht zur totalen Entsagung sowie Aufgabe ihrer Lebensgewohnheiten überreden. Als zwei Störer vergangenen Sonntag im Potsdamer Museum Barberini einen Monet attackierten und im Anschluß versuchten, ihr Manifest vorzutragen, schallte ihnen der laute Unmut der Museumsbesucher entgegen. Von spontaner Gruppen-Solidarisierung keine Spur. 

Trotzdem werden die Aktionsformen der Klima-Apokalyptiker immer schriller. „Scientist Rebellion“ ist hier als wissenschaftlich verbrämter Ableger von „Extinction Rebellion“ nur der jüngste Auswuchs. Auch im FDP-geführten Finanzministerium waren sie gerade erst zugegen und forderten Christian Lindner dazu auf, dem „globalen Süden“ alle Schulden zu erlassen. Das Besetzen von Ministerien gehört längst zum guten Ton und selbst im Bundestag sorgten eingedrungene Revoluzzer bereits mehrmals für Chaos.

Mediale Kritik an der gewählten Protestform ist selten. Ohnehin bedarf es keiner bösartigen Unterstellung, um den meisten Journalisten in Deutschland Sympathie mit den Anliegen der Besetzer vorzuwerfen. Der Gegensatz zum Umgang mit anderen, weit weniger koordinierten Protestbewegungen wird etwa im Vergleich mit den Corona-Demonstrationen der letzten Jahre deutlich. Gut in Erinnerung geblieben ist die mediale Reaktion, als sich im August 2020 eine bunte Schar Demonstranten zum Fahnenschwenken auf der Reichstagstreppe einfand und infolgedessen den Pressebetrieb in einen Ausnahmezustand versetzte.

Plötzlich war die deutsche Demokratie in Gefahr. Eine Putschpanik ergriff das Land und selbst die Springerpresse schrieb alarmistisch von einem „Sturm auf den Reichstag“. Im krassen Gegensatz dazu das Echo, wenn mal wieder irgendein geenterter Behördenflur zur Ablage von Pferdemist wird, wie Anfang 2022 im Landwirtschaftsministerium geschehen. Derartige Aktionen produzieren in der Petrischale des deutschen Journalismus zumeist unaufgeregte Lagebeschreibungen und unkommentierte Wiedergaben der Forderungen, so als ob Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung mit medialer Resonanz belohnt gehören. 

Immerhin: Der eine oder andere Funktionär aus den Reihen der Regierungsparteien hat sich inzwischen dazu durchgerungen, Störungen dieser Art deutlich zu kritisieren. „Radikale Sekte“, „irre“ und „bekloppt“, hieß es etwa aus der Berliner SPD, nachdem ein falscher Alarm im Bundestag die ohnehin unter Personalnot leidende Hauptstadtfeuerwehr über mehrere Stunden in Beschlag genommen hatte. Doch wo waren so eindeutige Schelten, als die Klima-Kleber unschuldige Bürger im Berufsverkehr drangsalierten? Es hat den Anschein, als ob Politiker erst selbst betroffen sein müssen, um das Kind beim Namen zu nennen.  

Das Eskalationspotential bleibt indessen weiterhin enorm. Jeder Politiker in Verantwortung weiß, daß die Forderungen der Klima-Apokalyptiker in einem modernen Industrieland wie Deutschland nicht umzusetzen sind. Mit Ausnahme der Grünen vermutlich, deren radikalere Vertreter bereits von Ermächtigungsgesetzen träumen und ein Ende der Demokratie skizzieren, sollten ihre Vorstellungen von Klimaschutz nicht schleunigst in die Tat umgesetzt werden. Die Drohung, auch ganz anders zu können, schwingt hier stets als Damoklesschwert mit. 

Insofern dürfte die Naherwartung einer grünen RAF die geringste Sorge für die Verfaßtheit unseres Staates sein. Denn es gibt ihn ja bereits, den Konsens zwischen Regierungspolitikern, Journalisten und den Endzeit-Aktivisten, daß demokratische Willensbildung, allgemeiner Wohlstand und individuelle Freiheit hintenanzustehen haben, wenn es um die Rettung des Planeten geht. Ihnen allen ist der revolutionäre Impetus gemein, nach dem der Zweck die Mittel heiligt und kein Opfer zu groß ist. Ob in diesem Fall das Ausknipsen von Licht und Heizung reicht, um den Geist des Totalitarismus wieder einzufangen, bleibt fraglich.