© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Viel mehr zagen anstatt wagen
Gerücht um Parteigründung: Sahra Wagenknecht erfreut sich großer Beliebtheit – außer bei der Führung der Linken. Geht sie bald eigene Wege?
Christian Schreiber

Der Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Linkspartei an diesem Wochenende dürfte keine vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung werden. Schon im Vorfeld haben 13 der bisher 22 Vorstandsmitglieder angekündigt, nicht mehr anzutreten. Hintergrund sind die dauerhaften Auseinandersetzungen mit der früheren Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Sahra Wagenknecht. Die Protestler zählen zu ihren Anhängern, die 53jährige war vergangenes Jahr als Spitzenkandidatin des Landesverbands in den Bundestag gezogen.

Seit Jahren macht die Ehefrau des mittlerweile ausgetretenen Partei-Mitgründers Oskar Lafontaine mit rußlandfreundlichen und migrationskritischen Äußerungen von sich reden. Das Problem: Außerhalb ihrer Partei kommt Wagenknecht besser an als in ihrer eigenen Truppe. In einer aktuellen Befragung gilt sie derzeit (hinter Markus Söder) als zweitbeliebtester Politiker – laut einer Statista-Erhebung bekommt sie wiederum die zweitschlechteste Bewertung der gesamten Polititprominenz. 

Immerhin würden einer repräsentativen Insa-Umfrage zufolge zehn Prozent der Wahlberechtigten „sehr sicher“ eine „Wagenknecht-Partei“ wählen. 30 Prozent der Wahlberechtigten könnten sich immerhin vorstellen, dies zu tun. Jeder dritte Befragte (33 Prozent) fände es gut, wenn eine Partei mit Sahra Wagenknecht an der Spitze bei der nächsten Bundestagswahl antreten würde. Darunter sind 66 Prozent der derzeitigen Linke- und 63 Prozent der jetzigen Wähler der AfD. 

„AfD halbieren und  die Linke komplett wegputzen“

In beiden Parteien sorgte die Aussage von Insa-Chef Hermann Binkert in der Bild-Zeitung, eine von Wagenknecht eigens gegründete Partei könnte „die AfD halbieren, die Linke komplett wegputzen“ für ziemliche Aufregung. Aber ist das Ganze realisitisch – oder nur eine politische Fata Morgana? Schon 2018 hatte Wagenknecht die Bewegung „Aufstehen“ gegründet, die als Vorläufer oder Versuchsanordnung für eine neue Partei dienen sollte. Doch nach dem ersten medialen Rummel verlief die Sache im Sande. Unter den Unterstützern gab es Streit, Wagenknecht befaßte sich mit eigenen Dingen, darunter Buchprojekt und Burn-out.

Seit Wochen wird die promovierte Ökonomin erneut mit dem Versuch in Verbindung gebracht, eine eigene Partei zu gründen. Sie wünsche sich, „daß in Deutschland eine Partei entsteht, die die Politik der Regierung verändern kann“, hatte sie gegenüber Bild-TV gesagt. In der vergangenen Woche erregte die streitbare Politikerin nun abermals den Zorn ihrer Genossen. Auf Twitter teilte sie eines ihrer Videos und schrieb dazu, daß sie die Grünen für die „heuchlerischste, abgehobenste, inkompetenteste und damit derzeit auch gefährlichste Partei im Bundestag“ halte. Das kam nicht bei allen gut an, immerhin ist die Linkspartei auf Länder­ebene an Koalitionen mit den Grünen beteiligt. 

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, reagierte empört: „In einem Parlament, in dem Faschisten sitzen, die Grünen als größte Gefahr darzustellen, ist dermaßen drüber und verharmlost die Gefahr von rechts“, so Wagenknechts Fraktionskollege. Immer wieder wird sie aus der eigenen Partei mit dem Vorwurf konfrontiert, sie nähere sich in bedenklichem Tempo der AfD an. Ihre Positionen dadurch diskreditieren zu wollen, findet Wagenknecht bedenklich: „Nur weil die AfD in bestimmten punktuellen Fragen auch Dinge formuliert, die nicht ganz falsch sind. Also ich meine, wenn die AfD sagt, der Himmel ist blau, werde ich nicht deshalb behaupten, daß er grün ist“. Das sei „eine völlig verquere Debatte“, konterte sie kürzlich in einem Interview. 

Aus ihrem Umfeld ist zu hören, die Abgeordnete habe den Glauben verloren, mit der Linken könne noch erfolgreich Politik gemacht werden. Selbst im Osten gingen die Resultate zuletzt steil nach unten, im Westen ist sie in den meisten Ländern nur noch eine Splitterpartei. Wagenknecht gilt als glänzende Analytikerin und großartige Rednerin, organisatorisches Geschick  sagt man ihr allerdings nicht nacht. Zudem wird sie intern als kühl und eher introvertiert beschrieben. Keine guten Voraussetzungen für ein neues Projekt auf dem Wählermarkt. Wohl auch deshalb gibt es sie noch nicht, die gefürchtete oder ersehnte „Wagenknecht-Partei“.