© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Keine Mehrheiten erkennbar
Neuwahl in Dänemark: Dank Neugründungen und Fraktionswechseln ist die Regierungsbildung schwierig
Christoph Arndt

Dänemark steht vor einem Neubeginn. Nachdem die sozialliberale Radikale Venstre (RV) angekündigt hatte, die sozialdemokratische Minderheitsregierung nicht weiter zu unterstützen und sogar ein Mißtrauensvotum drohte, sah sich Ministerpräsidentin Mette Frederiksen gezwungen, vorzeitige Neuwahlen auszuschreiben. Am 1. November ist es nun soweit. Vorausgegangen war ein Streit um die rechtlichen Voraussetzungen für die Keulung von Nerzen während der Corona-Pandemie, bei dem Frederiksens Regierung eine schlechte Figur abgab. Im Wahlkampf zeichnet sich noch kein sicherer Gewinner ab. Links wie rechts rumort es, nachdem die Legislatur von zahlreichen Fraktionswechseln und Neugründungen geprägt war. Die dominanten Wahlkampfthemen sind Gesundheit und Pflege, Steuern, Energiepreise und Inflation. Das Thema Zuwanderung spielt – ungewöhnlich für dänische Wahlkämpfe – keine bedeutende Rolle.

Das bis 2019 regierende bürgerliche Lager besteht mittlerweile aus sechs Parteien, nachdem die populäre ehemalige Einwanderungsministerin Inger Støjberg aus der rechtsliberalen Venstre austrat und im Juni 2022 die Dänemarkdemokraten (DD) gründete. Die DD kombinieren restriktive Zuwanderungspolitik mit der Vertretung ländlicher Interessen und Elitenkritik. Neben Støjberg verließ auch der ehemalige Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen Venstre und gründete die Moderaten. Die DD erreichten auf Anhieb acht bis zehn Prozent in den Umfragen, die Moderaten konnten zuletzt ebenfalls deutlich zulegen und den Abstand zur Sperrklausel (zwei Prozent) vergrößern. Venstre hingegen wird deutlich unter ihrem Resultat von 2019 einlaufen und kämpft zum ersten Mal seit den 1990ern um ihre Position als stärkste bürgerliche Partei, da die Konservativen seit 2021 in den Umfragen gleichauf oder vor Venstre lagen. Somit gibt es drei Ministerpräsidentenkandidaten: die amtierende Ministerpräsidentin Frederiksen (S), Søren Pape (Konservative) und Jakob Ellemann-Jensen (Venstre). Sowohl Pape als auch Ellemann-Jensen müßten im Falle eines Wahlsieges eine heterogene bürgerliche Koalition aus sechs oder sieben Parteien anführen. Die Dänische Volkspartei (DF) bangt derweil um ihre Existenz. Nach Austritten und acht Überläufern zu den DD könnte sie aus dem Folketing fallen. Somit sind vom besten Resultat 2015 bis zur möglichen Kernschmelze nur sieben Jahre vergangen. Die regierenden Sozialdemokraten (S) liegen als stärkste Partei klar vorn. Allerdings sind andere Linksparteien nicht länger bereit, eine reine S-Regierung zu stützen. Ob der linke Block alleine eine Mehrheit erhalten kann, hängt neben den Moderaten auch vom Ergebnis der radikalökologischen Kleinparteien Alternativet und Freie Grüne ab. Beide lagen in fast allen Umfragen unter der Sperrklausel.