© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Grüße aus … Wien
Stelze statt Martinigansl
Robert Willacker

Sie ist so etwas wie der inoffizielle Start in die besinnliche Zeit – ein Probelauf für den bevorstehenden Advent: die Gansl-Saison. Rund um den Martinstag am 11. November erscheinen Jahr für Jahr die ersten Gänse auf den Speisekarten der Gasthäuser und wenngleich der Brauch des Martinsgansessens auch in anderen Ländern gepflegt wird, dürfte er wohl nirgends so innig zelebriert werden wie hierzulande.

Ganze Freundeskreise, Vereine und Firmen versammeln sich in den „Ganslwochen“ regelmäßig zum gemeinsamen Festmahl in der Gastwirtschaft, und so mancher Ganslfan bringt es dabei schnell auf ein halbes Dutzend Portionen pro Saison.

In Wien werden Geheimtips rund um die beste Gans der Stadt traditionell hoch und heiß gehandelt – man findet sich auf der Suche nach der Köstlichkeit dann auch nicht selten in Stadtteilen wieder, die man vorher noch nie zuvor betreten hat.

Jeder in Österreich ansässige Erwachsene erhielt 500 Euro Einmalzahlung als Teuerungsausgleich.

Um so dramatischer  die Schlagzeilen, die in den vergangenen Wochen über Österreich hereinprasselten: „Martinigansl wird zum puren Luxus“, prangte es da in großen Buchstaben auf der Titelseite der Kronen Zeitung. In anderen Blättern war gar von dramatischen Lieferengpässen die Rede. Die „Luftburg“ im Wiener Prater, Österreichs größtes Bio-Restaurant, zog nun die Reißleine. „Die Bio-Ganslpreise sind exorbitant gestiegen“, erklärte Geschäftsführer Paul Kolarik der Zeitung Heute. Grund seien die hohen Energiepreise, und auch die Personalkosten hätten tüchtig angezogen. Stelze statt Gansl heiße nun die Devise.

Rund 100 Prozent betrugen zuletzt die Preissteigerungen beim um diese Jahreszeit so beliebten Federvieh; mit Preisen an die 40 Euro pro Teller müssen Gäste aktuell rechnen. Auch die Kosten für Beilagen wie Rotkraut und Knödel sind merklich gestiegen.

Doch was hat es mit dieser Preisexplosion auf sich? Der Grund dafür liegt in Osteuropa, denn parallel zu der preistreibenden Teuerung und den allgemein gestiegenen Energiekosten spielte sich im benachbarten Ungarn ein folgenschweres Drama ab: Aufgrund einer anhaltenden Vogelgrippe-Epidemie mußten in diesem Jahr bereits sieben Millionen Tiere gekeult werden. Da traditionell viele der ungarischen Gänse ihren Weg nach Österreich finden, löste deren plötzliches Ausbleiben folglich einen veritablen Preisschock aus.

Wer trotz der angekündigten Mondpreise nicht auf sein Martinigansl verzichten möchte, kann sich zur Not mit dem frisch ausbezahlten „Klimabonus“ der Bundesregierung behelfen. Jeder in Österreich ansässige Erwachsene erhielt in den vergangenen Wochen 500 Euro Einmalzahlung als Teuerungs- und Energiekostenausgleich überwiesen. Trotz der stark gestiegenen Preise in der Gastronomie sollte die Ganslsaison damit gerettet werden können.