© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Überraschungen bleiben aus
Italien: Giorgia Meloni wird erste Ministerpräsidentin des Landes, ohne mit ihrem Kabinett Brüssel anzugreifen
Fabio Collovati

Am Ende ging der Übergang zur Normalität ganz schnell. Am vergangenen Wochenende wurde Giorgia Meloni von den Brüdern Italiens (Fratelli d’Italia) als erste Ministerpräsidentin Italiens vereidigt, und wenig später kamen gleich die ersten Glückwünsche. Nahezu alle Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten gratulierten – auch Bundeskanzler Olaf Scholz. 

„Wir sind bereit“, erklärte die 45jährige nach den Konsultationen bei Staatspräsident Sergio Mattarella. Und der 81 Jahre alte Präsident war sichtlich zufrieden. Melonis Verhandlungen mit ihren Bündnispartnern – der rechtsnationalen Lega von Matteo Salvini und der christdemokratischen Forza Italia unter Silvio Berlusconi – hätten weniger als einen Monat in Anspruch genommen, lobte Mattarella. 

Dabei waren die Gespräche nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen, vor allem Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi ließ ein paarmal seine Muskeln spielen. Am Ende wurde er aus seiner eigenen Partei zurückgepfiffen, ein öffentliches Amt sprang für den Multi-Unternehmer nicht heraus.

Kaum Posten für die rechte Basis der eigenen Partei

Ein Blick auf die Kabinettsliste zeigt aber, daß Meloni durchaus Zugeständnisse machen mußte. Ihrem Kabinett gehören neun Personen an, die ihre Partei nominiert hat. Jeweils fünf gingen an ihre Koalitionspartner. Damit sind sie im Kabinett deutlich überrepräsentiert im Vergleich zum Stimmenanteil, den sie bei den Wahlen im September erringen konnten: Auf die Brüder Italiens waren 26 Prozent entfallen, die Lega war auf knapp neun und die Forza Italia auf gut acht Prozent gekommen. 

Lega-Chef Matteo Salvini, der allzu gerne noch einmal Innenminister geworden wäre, mußte Kompromisse eingehen und gab sich staatsmännisch. Er erhielt das Infrastruktur-Ressort, wo er auf die Milliarden aus dem EU-Aufbaufonds zurückgreifen kann und gewinnt damit erheblich an Einfluß. Gleichzeitig ist er einer der beiden Stellvertreter Melonis. 

Der zweite Vize-Posten ging an Antonio Tajani, der gleichzeitig Außenminister wird. Mit der Entscheidung sendete Meloni gleich ein wichtiges Signal nach Brüssel. Der 69jährige, hinter Berlusconi die Nummer zwei bei Forza Italia, ist seit Jahren in EU-Kreise bestens vernetzt. Er war sechs Jahre EU-Kommissar, erst für Verkehr, später für Industrie. Von 2017 bis 2019 bekleidete er zudem das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments. Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei, nannte den ehemaligen Journalisten Tajani nach seiner Ernennung „einen Garanten“ für ein europäisches und transatlantisches Italien.

In die gleiche Richtung geht eine weitere Personalentscheidung, die in Brüssel aufmerksam verfolgt wurde. Neuer Finanzminister wird Giancarlo Giorgetti. Der moderate Wirtschaftsexperte und stellvertretende Parteichef der Lega gehörte auch dem letzten Kabinett von Mario Draghi an. Der 55jährige hat sich aufgrund seiner besonnenen Art und große Fachkompetenz bei nationalen und internationalen Wirtschaftseliten einen guten Namen gemacht. 

Mit dem Fratelli-Politiker Adolfo Urso rückt ein Urgestein der italienischen Rechten in das Wirtschaftsministerium nach. Der 65jährige war vor Jahren maßgeblich an der Umwandlung der neofaschistischen Sozialbewegung MSI in die moderate Alleanza Nationale, dem Vorläufer der heutigen Meloni-Partei, beteiligt. „Urso ist pragmatisch und unideologisch“, meint Francesco Galietti von der römischen Politikberatung Policy Sonar. 

Das Innenressort wurde mit dem bisherigen Präfekten Roms Matteo Piantedosi eher unspektakulär besetzt. Er gilt als besonnener Verwaltungsexperte. 

Meloni, die in Sachen Corona-Politik stets eher vorsichtig agierte und auch einschneidende Maßnahmen mittrug, sorgte dann im Gesundheitsministerium für eine Überraschung. Ihr Minister Orazio Schillaci ist kein Parteipolitiker, sondern Nuklearmediziner – seit 2019 Rektor einer Uni in Rom. Italienische Medien haben den Experten dann auch gleich als „italienischen Lauterbach“ bezeichnet. Es ist der einzige Polit-Neuling im Kabinett, was zeigt, daß Meloni ihr Ziel, mehrere unabhängige Experten einzubinden, nicht völlig erreicht hat. 

Aber auch die Hardliner in der eigenen Partei mußten manch bittere Pille schlucken. Die alte Garde der früheren MSI-Mitstreiter ging völlig leer aus, lediglich die Bestellung von Eugenia Roccella zur Ministerin für „Familie, Geburten, Gleichstellung“ darf als Signal an die rechte Parteibasis gewertet werden. Die engagierte Katholikin gilt als entschiedene Abreibungsgegnerin.