© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Wenn der Postmann nicht mehr klingelt …
… bleiben die Briefkästen leer: Beschwerden über die Postzustellung häufen sich / Das Unternehmen verweist auf Engpässe beim Personal
Christian Schreiber

Corona oder Chaos? Dieser unangenehmen Frage sieht sich die Deutsche Post derzeit ausgesetzt. Quer durch die Republik häufen sich Beschwerden über verspätet zugestellte Briefe. Regionale Radiostationen senden Anrufe von erbosten Bürgern, die tagelang einen leeren Briefkasten öffnen.

Beispiele gefällig? Im Kreis Konstanz am Bodensee in Baden-Württemberg stöhnen die Bürger seit Monaten über massive Probleme bei der Postzustellung. Die Briefe kommen teils Tage oder Wochen verspätet an. Zeitschriften-Abonnenten erhalten ihre Ausgabe erst, wenn sie schon wieder veraltet ist. Rechnungen kommen nach der Zahlungsfrist an. Und ob die Wahlunterlagen der anstehenden Bürgermeisterwahlen rechtzeitig zugestellt werden, weiß auch keiner.

Ähnliche Berichte gibt es auch aus vielen anderen Teilen Deutschlands wie in Osthessen, ländlichen Gebieten in Bayern oder dem Saarland. In der dortigen Landeshauptstadt Saarbrücken berichtete ein Unternehmer, daß Angebote oder Rechnungen teilweise mehr als eine Woche unterwegs sind. Ein Kunde erzählte ihm von einem Brief, der sechs Tage nach Versand im Briefkasten war – bei einer Distanz von sieben Kilometern. Trockener Kommentar des Handwerkers: „Ich würde die Briefe besser zu Fuß austragen. Dann wüßte ich wenigstens, daß sie ankommen.“ 

Wie groß der Frust ist, zeigt auch ein Blick auf das Verbraucherportal der Bundesnetzagentur, die auch für die Einhaltung der vorgegebenen Standards bei der Post zuständig ist. Bereits im Sommer beschwerten sich dort viele Menschen über die schlechte Briefzustellung, vereinzelt betraf dies auch Pakete. Seit September scheint die Zahl der Eingaben aber deutlich zuzunehmen. Fast täglich liest man dort von Beschwerden über die Post, teilweise sogar mehrfach. „Leider müssen wir Probleme, vor allem in der Briefzustellung, in manchen Regionen Bayerns einräumen“, erklärt Jasmin Derflinger, Pressesprecherin der Deutschen Post in München. Grund seien in erster Linie deutlich höhere Personalausfälle aufgrund von Corona-Infektionen. Da die Lage auf dem gesamten Arbeitsmarkt derzeit angespannt sei, könne man diese Ausfälle kaum kompensieren.

Doch es gibt auch übereinstimmende Berichte über internes Chaos bei der Post. In mehreren Bundesländern erklärten Arbeitssuchende, daß sie Bewerbungen an die Post versandt hätten, stets ohne eine Antwort zu erhalten. Ob die Briefe denn tatsächlich angekommen sind, darüber kann freilich nur spekuliert werden. Den Frust der Bürger bekommen in aller Regel auch die Kommunalpolitiker ab, die allerdings nur begrenzten bis gar keinen Einfluß haben. 

Da Beschwerden bei der Post und der Bundesnetzagentur keine Besserung brachten, haben einige Bürgermeister aus Baden-Württemberg kürzlich einen Brandbrief an das Bundeswirtschaftsministerium geschrieben. „Nach einem halben Jahr erwarten wir Bürgermeister natürlich schon, daß man sich mal grundsätzlich und strukturell Gedanken macht, wie man das Problem in den Griff bekommt“, sagte Holger Mayer, Bürgermeister der Gemeinde Hilzingen und einer der Verfasser des Schreibens, gegenüber dem SWR.

Corona-Notfallkonzept sieht Zustellung jeden zweiten Tag vor

Die Bundesnetzagentur verzeichnete allein im dritten Quartal bundesweit 11.500 Post-Beschwerden. Das ist fast so viel wie gesamten Jahr 2021, als es 15.100 Beschwerden gab. Im Unterschied zu früheren Zeiten, in denen oft über verspätet zugestellte Pakete berichtet wurde, betrifft das Problem derzeit ganz überwiegend die Briefzustellung.

Die Deutsche Post hat mittlerweile reagiert und an Standorten mit besonders hohen Personalausfällen ein Corona-Notfallkonzept eingeführt: „Um Zustellausfälle über mehrere Tage zu vermeiden, wenden wir an Standorten mit besonders hohen Personalausfällen das sogenannte Corona-Notfallkonzept an. Dieses sieht unter anderem vor, daß – bei einer werktäglichen Zustellung – die Haushalte nur jeden zweiten Werktag Briefe erhalten. Das Konzept führt zwar zu längeren Brieflaufzeiten, verhindert aber Zustellausfälle über längere Zeiträume. Eine werktägliche Zustellung an alle Haushalte kann dann wieder durchgeführt werden, wenn hierfür ausreichendes Personal vorhanden ist. Dies ist wiederum im wesentlichen vom Infektionsgeschehen und von der Personalrekrutierung am Arbeitsmarkt abhängig“, teilte das Unternehmen mit.

Generell sei das Problem gefühlt größer als es die Zahlen belegen würden, behauptet die Post allerdings. Im Schnitt könnten gerade an einem Werktag in rund 100 der bundesweit über 50.000 Zustellbezirke keine Briefe zugestellt werden, sagte Thomas Schneider, Betriebschef des Post- und Paketgeschäfts in Deutschland, der Bild am Sonntag. Die Zustellung verzögert sich laut Schneider aber in aller Regel nur um einen Tag. Nach dem eigenen Anspruch sollen 90 Prozent der innerhalb Deutschlands verschickten Briefe am nächsten Werktag zugestellt werden. Die Post betonte, daß das derzeit bei mehr als 80 Prozent weiterhin der Fall sei, was im europäischen Vergleich immer noch ein hoher Wert sei.