© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Verabsolutierung von Schwarzsein und Weißsein
Metaphysischer Antirassismus
(dg)

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie fand der afroamerikanische Literaturwissenschaftler John McWhorter (Columbia University New York) Muße, sich einer intellektuell weniger anspruchsvollen Lektüre zuzuwenden und die Rezepte der „Food-Journalistin“ Alison Roman in der New York Times zu lesen. „Sie hatte gute Rezepte, und das half dem Leben eine Struktur zu geben.“ Doch über Nacht waren ihre Artikel plötzlich aus der einst liberalen, für ihre Zensurpraktiken inzwischen jedoch berüchtigten NYT verschwunden. Wie McWhorter erfuhr, soll Roman sich über zwei asiatische Kolleginnen öffentlich angeblich „abfällig“ geäußert haben. Eine Gruppe innerhalb der NYT-Redaktion habe daher beschlossen, sie „nicht mehr in ihrer Mitte haben“ zu wollen. Diese triviale Geschichte, so berichtet McWhorter im Interview mit dem Philosophie Magazin (6/2022), habe ihn ermuntert, sich näher mit der „progressiven Agenda“ der „Critical Race Theory“ zu befassen, die 2020 die „allgemeine Stimmung der Linken“ dominiert habe. Ursprünglich sei diese soziologische Theorie sehr interessant gewesen, weil sie über „rassistisch“ motivierte Benachteiligung Schwarzer in der US-Gesellschaft wissenschaftlich aufklärte. In ihrer heutigen, Denkenergie sparenden Version, die Nicht-Weißen beibringen wolle, ihre gesamte Identität darauf auszurichten, nicht weiß zu sein, statt sich als Individuum zu begreifen, erinnere sie an die „brutale Art der Rassenklassifizierungen“, gegen die die schwarze Bürgerrechtsbewegung einst gekämpft hat. Ausgerechnet „Antirassisten“ würden somit Schwarzsein und Weißsein verabsolutierten und zu „metaphysischen Kategorien“ erklären. 


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