© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Der triumphale Sieg von Boris Palmer bei der Wahl zum Oberbürgermeister in Tübingen gehört zu den wenigen positiven Nachrichten in bezug auf die Politik dieses Landes. Dabei geht es nicht nur um den erfolgreichen Widerstand eines einzelnen Nonkonformisten gegen die Machtmaschine seiner Partei, sondern auch um die Erinnerung daran, was einmal zum Kern „grünen“ Denkens gehörte: daß Ökologie wohl Bäume und Wale und Eisbären retten und den CO2-Ausstoß reduzieren will, aber auch die Ökologie des Menschen im Blick behalten muß, also die Aufrechterhaltung der ihm wesensmäßigen Lebensbedingungen, die nicht beliebig verändert werden können, wenn sie „artgerecht“ bleiben sollen.

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Die Welt hat die Gestaltung ihrer „Künstlerausgabe“ vom 15. Oktober Daniel Richter – Ex-Punk, Ex-Hausbesetzer, jetzt nur noch unglücklich-linksradikal – übertragen, der im Interview beim Grünen Tee bekennen darf, was er „an allen Konservativen oder Reaktionären abscheulich“ findet, nämlich „diese Sentimentalität und Verlogenheit im Umgang mit der Vergangenheit“. Bleibt dem Konservativen nur die Feststellung, daß er die Bilder Richters abscheulich findet.

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An dem im Kernbereich der Buchmesse Präsentierten fiel vor allem die Eintönigkeit auf. Was nicht woke war, war Ratgeber zwecks Selbstoptimierung oder infantil. An kaum einem anderen Ort konnte man einen so konzentrierten Eindruck dessen gewinnen, was der österreichische Publizist Erik von Kuehnelt-Leddihn „Nämlichkeit“ genannt hat. Nämlichkeit ist das Ergebnis eines Prozesses, der die Gleichheitsforderung bis zur Ununterscheidbarkeit vorantreibt, egal, wieviel von „Diversität“ und „Vielfalt“ geschwatzt wird.

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Das französische Portal Boulevard Voltaire hat einige von den Mainstreammedien geflissentlich übergangene Informationen zur Einwanderung zusammengefaßt: Eine Umfrage ergab, daß acht von zehn „Geflüchteten“, die in Schweden Aufnahme gefunden haben, Urlaub in den Ländern machen, aus denen sie „geflohen“ sind; im Jahr 2019 wurden 63 Prozent der sexuellen Übergriffe in den Verkehrsmitteln der Region Île-de-France von Männern mit Migrationshintergrund begangen; unter den Frauen, die in Frankreich entbunden haben, ist der Anteil der Empfängerinnen von Aide Médicale d’État, einer steuerfinanzierten medizinischen Hilfe für illegale Einwanderer, zwischen 2010 und 2019 um 50 Prozent gestiegen; der Geldtransfers von Zuwanderern aus Frankreich in ihre Herkunftsländer hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt, etwa 11,2 Milliarden Euro pro Jahr werden hauptsächlich nach Nordafrika und in Länder südlich der Sahara überwiesen.

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„Die Einsichtigen aller Zeiten wußten, was gut und groß ist, was erlaubt und rechtens, was Fortschritt und Verfall ist. In großen Zügen ist es in die menschliche Brust geschieben: ein einfaches Nachdenken genügt, um es aufzufassen. Wenn alle die Klügeleien unserer Weisheit und unseres Irrtums längst vergessen sind, werden die kommenden Jahrhunderte uns danach richten.“ (Leopold von Ranke)

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Bildungsbericht in loser Folge: Die jüngste Überprüfung der Gemeinschaftsschulen des Landes Baden-Württemberg (Monitoring-Report VERA 8-2022 Baden-Württemberg) hat ergeben, daß die Leistungen der Jugendlichen dort grundsätzlich hinter denen zurückbleiben, die ihre Altersgenossen im gegliederten Schulwesen erbringen. Zu den Ergebnissen der Studie gehört auch, daß zwölf Prozent der Schüler, die nach Auffassung ihrer Lehrer auf gymnasialem Niveau an einer Gemeinschaftsschule unterrichtet werden, nicht einmal das Hauptschulniveau erreichen. Die Gemeinschaftsschule wurde 2012 neu eingeführt. Daran geknüpft war das Versprechen der ersten grün-roten Landesregierung, so für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Motto: „Vielfalt macht schlau“. Hat offenbar nicht geklappt.

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Wolfgang Schäuble äußerte unlängst, daß die Maßlosigkeit ganz entscheidend zur gegenwärtigen Krise beigetragen habe. Man mag kaum widersprechen. Allerdings stört an der Analyse doch dreierlei: erstens die Vorstellung, es gehe im Kern nur um ein Krisenphänomen – den Klimakollaps –, zweitens die Behauptung, die AfD sei ein im Grunde nur durch den bösen Willen der Beteiligten erklärbares Phänomen, drittens das diffuse Gerede über das verantwortliche „Wir“. So entsteht der Eindruck, als ob die Masse sich die ganze Zeit irgendwie unbotmäßig und vernunftfrei aufgeführt habe, während Schäuble als einer derjenigen, die über Jahrzehnte die politische Verantwortung trugen, für das Desaster nichts kann, sondern stets bemüht war, Schlimmeres zu verhindern.

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Morgenandacht, unfreiwillige Stichprobe: Es geht um den Klosterbesuch mit kulturellem Anspruch und gesundheitsförderndes Radfahren, um den Familienausflug, die Vorzüge frischer Minze, und dann findet auch noch Psalm 23 Erwähnung; von Gott, von Christus kein Wort, nirgends.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 11. November in der JF-Ausgabe 46/22.