© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

August der Vergessene
Ausstellung: Schloß Augustusburg widmet sich dem bedeutenden sächsischen Kurfürsten des 16. Jahrhunderts
Erik Lommatzsch

Kaiser Maximilian II. kam niemals auf Schloß Augustusburg. Dabei hätte Kurfürst August von Sachsen den Jugendfreund, mit dem er trotz konfessioneller Gegensätze politisch harmonierte, zu gern nicht nur in seiner Dresdner Residenz, sondern auch in dem von ihm errichteten Vierflügelbau am Nordrand des Erzgebirges empfangen. Die Arbeiten an der hoch gelegenen, imposanten Renaissanceanlage, von Lokalpatrioten auch als „Krone des Erzgebirges“ apostrophiert, dauerten nicht einmal fünf Jahre. Bei der Planung und Ausgestaltung des für die Zeit untypischen Baus mit geometrisch präziser Konzeption wirkte der architekturinteressierte Kurfürst selbst maßgeblich mit, möglicherweise stammten sogar die ersten Entwürfe von seiner Hand. 

Die Fertigstellung des zu Repräsentationszwecken, für Jagd- und Festfreuden geschaffenen Schlosses Augustusburg erfolgte 1572. Das diesjährige 450. Jubiläum bietet Anlaß für die Sonderausstellung „Kurfürst mit Weitblick. Das Leben und Wirken von Landesvater August von Sachsen“. Trotz seiner herausragenden historischen Bedeutung steht dieser Herrscher in der Wahrnehmung deutlich im Schatten seines Ururur-Enkels August der Starke (1670–1733). Dabei führte Kurfürst August, von 1553 bis zu seinem Tod 1586, das Land zu einer Machtposition, über die Sachsen später nie wieder verfügen sollte.

August konnte die erst kurz zuvor von den ernestinischen Wettinern auf seine, die albertinische Linie übergegangene Kurwürde endgültig sichern und sein Land vergrößern. Er befestigte das orthodoxe Luthertum in Sachsen und erließ zahlreiche Gesetzesregelungen, die bis ins 19. Jahrhundert hinein wirkten, er wirtschaftete erfolgreich, seine Regierungsorganisation wirkte im frühneuzeitlichen Deutschland vorbildhaft, und er machte sich um die Stabilisierung des durch die Reformation gespaltenen Reiches verdient. 

360-Grad-Projektion als „Erlebnis mit allen Sinnen“

Über all die großen Zusammenhänge sollte man sich belesen, bevor man die „erlebnisorientierte“ Augustusburger Ausstellung betritt. Denn das hier vermittelte Bild des Kurfürsten August wird stark auf Einzelaspekte verkürzt. Dem Museumsbesucher traut man nicht allzuviel Aufnahmevermögen zu, von Voraussetzungen ganz zu schweigen. Vier thematische Einheiten, etwa „Wie alles begann“ oder „Das Leben am Hof“, sind in zwölf Räumen zu besichtigen, jeder davon ist noch einmal einem besonderen Gesichtspunkt gewidmet, zum Beispiel „Ruhm & Ehre“ oder „Küche & Gaumenfreuden“.

Auf einem mittelgroßen Bildschirm kann man in verschiedenen Räumen mit historischen Personen oder Vertretern der nach Meinung der Ausstellungsmacher wichtigen historischen Personenkreise („Arbeiter“, „Hoffräulein“) mittels vorgestanzter „Gespräche“ kommunizieren. Allerdings erst, nachdem man sein Gegenüber durch einen neckischen Mechanismus „geweckt“ hat. Kinder, denen noch weniger zugetraut wird, „chatten“ mit der Maus oder dem Löwen. Kostprobe aus der Erwachsenenvariante: Kaiser Maximilian II.: „August erhielt von uns einen kostbar geschmückten Degen. Für seine reizende Frau Anna hatten wir einen mit Gold und Silber verzierten Schreibtisch im Gepäck.“ Ausstellungsbesucher: „Das sind aber großzügige Geschenke! Danke für den spannenden Einblick. Ich schau mal weiter.“ Wem dies noch nicht genügt, der kann sich die vier thematischen Einheiten auch als „kurzweilige Highlight-Touren“ per App auf das Mobiltelefon laden und ähnlich geartete „Dialoge“ führen. 

Als Höhepunkt der Ausstellung wird die „360°-Projektion“ beworben. In einem Saal, dem dreizehnten Ausstellungraum, ist eine „Show“ von einer reichlichen Viertelstunde zu erleben. Musikalisch begleitet werden Bilder an sämtliche Wände projiziert, angefangen von einer Jagd über Schloßansichten bis hin zu einem  Festessen. Wohl ein Teil dessen, was in dem schmalen Begleitheft – auf einen Katalog wurde laut Auskunft der Ausstellungsmacher „bewußt verzichtet“ – als „Erlebnis mit allen Sinnen“ angekündigt ist. Auch andere Sinne sind im Zuge der Besichtigung gefragt. So, wenn mittels Konzentrat Düfte aus dem Garten der Kurfürstin zu erschnüffeln sind – „Erlebnisse“, denen hier das Augenmerk gilt.

Originale – für viele der Hauptgrund eines Museumsausflugs – sind in dieser Ausstellung rar. Gemälde wie etwa ein Porträt Maximilians II. von 1570 aus dem Deutschen Historischen Museum in Berlin oder das Bild, welches den Kurfürsten auf dem Totenbett zeigt und aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden stammt, die übrigens auf August von Sachsen zurückgehen, sind eher die Ausnahme. Ebenso Gegenstände wie der Schmuck-Anhänger mit einem Taler auf die Einnahme von Gotha 1567. Prägen ließ August diesen zum Gedenken an die erfolgreiche, offiziell im kaiserlichen Auftrag durchgeführte Reichsexekution gegen seinen ernestinischen Verwandten Herzog Johann Friedrich II. den Mittleren, die Beendigung der sogenannten Grumbachschen Händel, was auch vorgeblicher Anlaß für die Errichtung des Schlosses wurde. Der Ausstellungsbesucher erfährt indes nicht, daß Maximilian II. bei der Exekution der von August Getriebene war, womit die herausragende Stellung des Kurfürsten deutlich geworden wäre. August, der das Ganze zunächst auch selbst finanzierte, hatte größtes Interesse daran, den Herzog zu entmachten. Für die Ausstellung sind derartige Oberflächlichkeiten kennzeichnend. 

Die Ausstellung „Kurfürst mit Weitblick. Das Leben und Wirken von Landesvater August von Sachsen“ ist bis zum 8. Januar 2023 täglich von 10 bis 17 Uhr auf Schloß Augustusburg zu sehen. Tel.: 03 72 91/ 38 00

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