© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Als Europa abhob
Vor 50 Jahren fand der Erstflug des Airbus A300 statt / Boeing nur noch in der zweiten Reihe?
Frank Littek

Der europäische Flugzeugbauer Airbus hat seine Auslieferungen im September um 16 auf 55 Verkehrsjets gesteigert. In den ersten drei Quartalen hat der Dax-Konzern damit 437 Maschinen ausgeliefert. Das von 720 auf 700 reduzierte Jahresziel ist damit noch in weiter Ferne. Doch in der Regel steigen die Auslieferungszahlen von Verkehrsflugzeugen gegen Jahresende deutlich an. Doch von den anhaltenden Problemen mit den globalen Lieferketten bleiben auch Vorzeigeunternehmen nicht verschont. Aber 14.234 ausgelieferte Maschinen innerhalb von 50 Jahren – das ist schon rekordverdächtig. Und 12.770 davon sind noch weltweit im Einsatz: 10.086 Schmalrumpfflugzeuge der Baureihen A220/A320, 2.162 Großraumflugzeuge der Typen A330/A340/A350 sowie 239 doppelstöckige A380 und sogar 283 „Oldies“ der A300/A310-Baureihe.

Die Erfolgsgeschichte mit Höhen und Tiefen begann am 28. Oktober 1972, damals hob der Airbus A300 zum ersten Mal ab. Die Maschine schrieb Luftfahrtgeschichte – und das nicht nur für Flugzeugenthusiasten. Die A300 revolutionierte den Flugzeugbau und war die Initialzündung für den Erfolg des 1970 gegründeten französisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmens. Ein Jahr später trat die CASA aus Franco-Spanien bei, 1979 folgte die damals staatliche British Aerospace (BAe). Und wer heute auf einem Großflughafen das Aussehen von Verkehrsflugzeugen begutachtet, wird bei den meisten Maschinen weitgehende Ähnlichkeiten im grundsätzlichen Aufbau feststellen. Fast immer sind die – meist zwei – Triebwerke unter den Tragflächen angeordnet, am Heck befindet sich keine Düse mehr. Das gilt für Kurz- und Mittelstreckenmaschinen mit einem Mittelgang in der Kabine genauso wie für die Langstreckenmaschinen mit zwei Gängen.

Viele Anfangshoffnungen und ein langwieriger Weg zum Welterfolg

Anfang der 1970er Jahre gab es noch eine weit größere Vielfalt im Aussehen der Flugzeuge. Die Boeing 727 dominierte das Bild auf den Airports mit ihren drei am Heck befestigten Turbinen. Auf den Langstrecken stellten die mit drei Triebwerken – eines davon am Heck – ausgestatteten Douglas DC 10 und Lockheed TriStar hochmoderne Flugzeuge dar. Als die A300 ihren Erstflug absolvierte, war dieses Flugzeug von Anfang an genau mit dem Design ausgestattet, das heute das Aussehen fast aller modernen Verkehrsflugzeuge bestimmt. Es war ein „Widebody“, aber es kam mit nur zwei Triebwerken aus. Im Mai 1974 ging die erste Maschine bei Air France in den Liniendienst. Zunächst sah es gar nicht nach einem kommerziellen Erfolg dieses Flugzeugmusters aus. Ganz im Gegenteil. Zwar wußte die Maschine die Fachwelt durch die funktionsorientierte und dabei zugleich elegante Erscheinung durchaus zu überzeugen, doch für einen langen Zeitraum konnte Airbus keinen weiteren Auftrag mehr für diesen Flugzeugtyp registrieren.

Der Weiterbestand des mit dem Flugzeugbau befaßten europäischen Airbus-Konsortiums, mit dem so viele Hoffnungen verknüpft waren und das geradezu symbolisch für die europäische Integration steht, schien kurz nach dem Start schon wieder fraglich. Kritiker sahen bereits das nahe Ende des Airbus-Projektes voraus. Niemand ahnte, welche Erfolgsgeschichte Airbus schreiben sollte. Die Fluggesellschaft Thai Airways markierte das Ende der Durststrecke mit einem Auftrag über zehn Airbus A300, dann orderte die amerikanische Fluggesellschaft Eastern Airlines vier Maschinen dieses Typs, und der Einstieg in den als besonders schwierig geltenden US-Markt war geschafft.

Bei den Flugzeugen, die nun aus Thailand und den Vereinigten Staaten bestellt worden waren, handelte es sich um Airbus A300 B4. Das war bereits eine weiterentwickelte Version. Den Prototyp dieses Flugzeugmusters stellte der Airbus A300 B1 dar, von dem zwei Maschinen hergestellt wurden. Das Modell, das der Erstkunde Air France erhielt, war die A300 B2. Gegenüber diesem Modell hatte die B4 einen zusätzlichen Kraftstofftank im Tragflächenmittelteil, was die Reichweite verlängerte. Von Anfang an fertigte Airbus auch Frachtvarianten der Maschine, allerdings in geringerer Stückzahl.

Nachdem die A300 erfolgreich vom Markt aufgenommen worden war, dachte Airbus über eine Weiterentwicklung nach. Die entsprechenden Entwicklungsarbeiten wurden 1978 von den Ingenieuren des europäischen Flugzeugbau-Konsortiums aufgenommen. Bei dem neuen Muster handelt es sich um den Airbus A310. Als erste Variante offerierte Airbus die A310-200. Das Flugzeug war sieben Meter kürzer als die A300 und erhielt neue Tragflächen mit einer geringeren Spannweite sowie neue Triebwerksaufhängungen. Der verstärkte Einsatz von Carbonfasern und carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) führte zu einer Gewichtsreduzierung von 500 Kilogramm. Die Maschine absolvierte ihren Erstflug am 3. April 1982.

Gleichzeitig wurde aber auch die A300 weiterentwickelt. Die neue Variante war die A300-600. In den Bau des neuen Flugzeuges flossen auch die Verbesserungen und Modifikationen, die beim Bau der A310 zum Einsatz kamen, ein. Die A300-600 erhielt neue, wirtschaftlichere Triebwerke, das Profil der Tragflächen wurde modifiziert. Gleichzeitig konnten die Airbus-Techniker das Gewicht der Maschine durch den vermehrten Einsatz neuer, leichter Kunststoffe reduzieren. Im Ergebnis eignete sich die Maschine für den Einsatz auch auf Langstrecken. Das Höhenleitwerk übernahmen die europäischen Flugzeugbauer komplett von der A310 ebenso wie die Auslegung des Cockpits, die zwischen beiden Maschinen weitgehend identisch ist.

Für Laien sind Verkehrsflugzeuge heute kaum noch unterscheidbar

Die A300-600 absolvierte am 8. Juli 1983 ihren Erstflug. Die Auslieferung des ersten Flugzeuges erfolgte im April 1984. Auch das andere Produkt von Airbus, die A310, wurde weiterentwickelt. Die neue Version war der Airbus A310-300, der am 8. Juli 1985 seinen Erstflug absolvierte und im Februar 1986 erstmals im Linieneinsatz flog. Gegenüber der A310-200 bestand eine wesentliche Änderung im Einbau eines weiteren Tanks im Leitwerk, der immerhin 6.100 Liter faßt. Das führte zu einer Erhöhung des Abfluggewichts und der Reichweite der Maschine. Der Anbau von Winglets und einer Heckflosse aus CFK stellten weitere Verbesserungen dar.

1988 nahm dann der Airbus A300-600R den Liniendienst auf. Dieses Muster hat gegenüber den Vorgängervarianten noch einmal eine vergrößerte Reichweite. Bis zum Ende 1999 konnte Airbus von der A300 insgesamt 489 Maschinen ausliefern, von der A310 waren es 255 Maschinen. Beide Modellreihen hatten sich damit als äußerst erfolgreich erwiesen. Und die Entwicklung schritt weiter voran. Mit den Erfahrungen aus der Konstruktion und dem Betrieb der A300/A310-Reihe entwickelte Airbus die A330, worauf später die A350 und A330neo folgten. Boeing brachte die äußerlich sehr ähnliche 767 und später die 777 auf den Markt.

Für den Laien wurden Verkehrsflugzeuge nun optisch kaum noch unterscheidbar. Viel wichtiger aber: Basierend auf dem Erfolg der ersten Baureihen entwickelte sich Airbus zum europäischen Luftfahrtkonzern, der heute weltweit führend ist und den US-Konkurrenten Boeing überholt hat. Einer der ersten Airbus A300 steht heute im Luftfahrtmuseum von Toulouse. Andere Maschinen dieser Flugzeugfamilie sind weltweit immer noch im Einsatz. Viele davon fliegen inzwischen als Frachter für UPS, Federal Express oder DHL.

Auslieferungen von Airbus-Passagierjets: airbus.com