© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Kabinenklatsch
Auswärts ohne Lappen
Ronald Berthold

Was der Bundespräsident darf, das darf der normale Zuggast nicht: In der Bundesrepublik Coronien ist das Bahnfahren ohne Maske strikt verboten. Und zwar nur hier. Wie gut, daß ich Anhänger des Individualverkehrs bin und überall mit dem Auto hinfahre. Auch zu Auswärtsspielen, wenn meine Kinder mal wieder andere Arenen als das Olympiastadion sehen wollen. Der VfL Wolfsburg fuhr nun vergangenes Wochenende nach Leverkusen, um im Duell der unsympathischsten Klubs mit Bayer die Kräfte zu messen. Auf der Fahrt sammelten einige Kicker Sympathiepunkte. Sie weigerten sich hartnäckig, den Munden-Nasen-Schutz aufzusetzen. Vermutlich waren die Fußball-Söldner zu uninformiert, um zu argumentieren, daß sie es nicht anders machen wollen als unser Staatsoberhaupt. Aber eines werden sie gemerkt haben: Es ist schon unlogisch, daß in Flugzeugen, mit denen die Kicker sonst unterwegs sind, niemand einen Lappen im Gesicht tragen muß, der das nicht möchte. Das haben die Fußballer auch der Politik und der selbsternannten Journalisten-Elite zu verdanken. Als herauskam, daß die Maskenpflicht im Regierungsflieger nicht gilt und das mit allerlei ernstgemeinter Doppelmoral begründet wurde, war sie auch im Touristenjet nicht mehr zu halten.

Dafür sind die Wolfsburger nun das Feindbild der Journalisten, die selbst so gern ohne Maske reisen. Und natürlich hat der woke Klub, bei dem nicht nur die Kapitänsbinde, sondern auch die Eckfahnen in Regenbogenfarben gehalten sind, reagiert, sich entsetzt gezeigt und betont, daß die Spieler die „Werte“ des Vereins verletzt hätten. Im Fußball waren mir Tore schon immer wichtiger als Werte. Aber damit wird’s langsam einsam um mich.