© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Andreas Radbruch. Der renommierte Immunologe führt unablässig den Kampf gegen schlecht informierte Politiker.
Auf Angriff
Mathias Pellack

Es gibt über 50.000 aktive Professoren in Deutschland. Einige lassen sich in Podcasts ihr Wissen abfragen, andere geben ihre Kenntnisse in Talkshows preis, aber die große Mehrzahl forscht ruhig und besonnen auf ihrem gut dotierten Lehrstuhl vor sich hin. Nur einer greift unablässig schlecht informierte Politiker in den Sozialen Medien an: der Wissenschaftliche Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in der Leibniz-Gemeinschaft Berlin, Andreas Radbruch. 

Häufigstes Ziel des Niedersachsen aus Celle, der am 3. November seinen 70. Geburtstag feiert, ist Karl Lauterbach oder dessen Ministerium. So wies er den SPD-Politiker zurecht, als der wider die Faktenlage behauptete, im Herbst könne man auf Masken in Innenräumen nur als frisch Geimpfter verzichten. „Die bisherigen RNA-Impfstoffe schützen nur schlecht gegen Infektion, weil sie die Antikörper gar nicht auf die Atemwege bringen“, korrigierte das Leopoldina-Mitglied den Minister. Kurz: Maskenausnahmen waren auch schon 2021 nur politisch, aber nicht immunologisch sinnvoll. Der Bundesverdienstkreuzträger (2008) schob hinterher, die Hoffnung des Ministers auf die erneute Boosterung zertrümmernd: Bei angepaßten Impfstoffen sei das genauso, denn „man kann es offenbar nicht oft genug wiederholen: Antikörper im Blut schützen vor schwerer Erkrankung – Antikörper auf den Schleimhäuten dagegen vor Ansteckung.“ Doch die Impfungen gehen bekanntlich ins Blut. 

Einen öffentlichen Austausch  mit Andreas Radbruch wagt Lauterbach nicht – wohl weil der ihn deklassieren würde.

Eigentlich läßt der Harvard-Professor Lauterbach ja keine Gelegenheit ungenutzt, um Werbung fürs Impfen zu machen, doch den öffentlichen Austausch mit dem Vize-Präsidenten der Europäischen Vereinigung der Immunologie-Gesellschaften scheute er. Vielleicht auch weil Radbruch den Gesundheitsökonomen leichter deklassieren würde, als es wissenschaftliche Laien bei Maischberger und Co. können. Radbruch konnte neben Twitter bisher nur in wenigen Interviews, etwa mit RTL, Focus, der Welt und dem Deutschen Ärzteblatt glänzen. 

Bei letzterem allerdings erst, nachdem er die Redaktion unsanft auf deren unsaubere Berichterstattung hingewiesen hatte. „Nachlassende Immunität macht weitere Booster notwendig“, titelte das Fachblatt, woraufhin Radbruch erwiderte: „So ein Unsinn, die Impfung schützt doch perfekt gegen schwere Krankheitsverläufe – halt nur nicht vor Ansteckung. Und da hilft auch Boostern nix!“ Weiter: „Liebe Ärzteblatt-Herausgeber, offenbar braucht ihr immunologische Ratgeber: Einfach mal nachfragen, gerne und umsonst. Dann vermeidet ihr solche Peinlichkeiten. Herzliche Grüße!“

In einem sehr ausführlichen Interview auf Infosperber.ch erklärt der Immunologe seine Bedenken gegen zu häufiges Boostern: „Bei jeder Impfung kann es zu Entgleisungen kommen, in seltenen Fällen sogar zu einer Autoimmunerkrankung.“ Denn der Körper wolle eigentlich Ruhe. Radbruch hatte bereits 1997 entdeckt, daß Gedächtniszellen des Immunsystems sich im Knochenmark einnisten und lebenslangen Schutz bieten – auch für Covid wurden solche Plasmazellen im Mark gefunden. Geht aber bei der Einlagerung etwas schief, drohen krankhafte Entzündungen wie Rheuma. Verständlich, daß einer wie Radbruch sein Wissen teilt, wenn das Bundesgesundheitsministerium das nicht nutzen will.