© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Ländersache: Hessen
Von einem Fettnäpfchen ins nächste
Peter Freitag

Es ist eine etwas ungewöhnliche Frage, die Frankfurts Bürger am kommenden Sonntag mit Ja oder Nein beantworten können: „Stimmen Sie für die Abwahl des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main, Herrn Peter Feldmann?“ Der Sozialdemokrat hat unter den Mandatsträgern der Mainmetropole keinen Rückhalt mehr, nicht mal bei seiner eigenen Koalition aus SPD, Grünen, FDP und Volt. Die hatte das Stadtoberhaupt gemeinsam mit der größten Oppositionspartei im Römer, der CDU, zum Rücktritt aufgefordert, den Feldmann jedoch ablehnte. Mit einer Zweidrittelmehrheit leitete das Stadtparlament daraufhin das Abwahlverfahren ein. Feldmann, 2012 direkt gewählt und 2018 bestätigt, ist mit einer Affäre und peinlichen Fehltritten bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Da war zum einen jene bizarre Szene, als er nach dem Europa-League-Sieg von Eintracht Frankfurt im Mai beim Empfang im Rathaus dem Mannschaftskapitän den Pokal entriß. Zum Fremdschämen auch sein Spruch, auf dem Flug zum Finale in Sevilla hätten ihn die Flugbegleiterinnen „erst mal hormonell außer Gefecht gesetzt“. Doch der eigentliche Aufreger ist die AWO-Affäre, für die er sich vor Gericht verantworten muß. Der 64jährige soll laut Staatsanwaltschaft vor seiner Wiederwahl Spenden bekommen haben, die von der Arbeiterwohlfahrt für ihn eingesammelt worden seien. Im Gegenzug habe er versprochen, die Interessen dieser Sozialorganisation wohlwollend zu berücksichtigen. 

Ein weiterer Anklagepunkt: Feldmann habe unter Ausnutzung seiner Position als Chef der Stadtverwaltung seiner damaligen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau eine Anstellung als Leiterin eines von der AWO betriebenen deutsch-türkischen Kindergartens verschafft. Zudem sei seine Frau über Tarif bezahlt worden und habe einen Dienstwagen bekommen. Der Oberbürgermeister bestreitet die ihm zur Last gelegte Einflußnahme, sorgt nun aber für weiteren Wirbel: Denn im Prozeß offenbarten die Verteidiger Feldmanns einige private Details, die empörte Reaktionen hervorriefen. Um ihren Mandaten vom Korruptionsvorwurf zu entlasten, beschrieben die Anwälte die Beziehung ihres Mandaten zu seiner inzwischen getrennt von ihm lebenden Noch-Ehefrau, als „äußerst fragile Beziehung“. Feldmann habe die Türkischstämmige nur aus Rücksicht auf deren traditionell geprägte Familie geheiratet. Es sei zu einer „ungewollten und unerwünschten Schwangerschaft“ gekommen, Feldmann habe auf einer Abtreibung bestanden, seine spätere Frau dies aber abgelehnt. Die gemeinsame Tochter ist inzwischen sechs Jahre alt. 

„Fassungslos“, „entsetzt“, „sprachlos“ – so zeigten sich in ersten Reaktionen städtische Politiker verschiedener Fraktionen. Auch nachdem Feldmann versuchte, die Wogen mittels einer bei Facebook veröffentlichten Liebeserklärung an seine Tochter zu glätten, erntete er wütende Kommentare. Dennoch ist seine Abwahl noch nicht ausgemacht, die Hürden sind hoch gelegt. Erstens muß am Sonntag eine Mehrheit für die Abwahl stimmen; zweitens muß diese mindestens 30 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen. Wahlberechtigt sind 512.000 Deutsche sowie EU-Ausländer, die mindestens 18 Jahre alt sind und seit sechs Wochen vor dem Abstimmungstag ihren Hauptwohnsitz in Frankfurt haben.