© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Haß und Hetze kommen jetzt direkt vom Amt
Bundesverfassungsschutz: Der Inlandsgeheimdienst betreibt auf Twitter aggressive Fake-Accounts und erklärt diese prompt zur Geheimsache
Henning Hoffgaard

Das Thema hat für die Bundesregierung oberste Priorität: „Im Internet ist eine zunehmende Verrohung der Kommunikation zu beobachten. Aggressives Auftreten, Einschüchterung und Androhung von Straftaten nehmen zu. Dies kann dazu führen, daß sich Menschen vollständig aus dem öffentlichen politischen Diskurs zurückziehen.“ 

Deswegen beschloß bereits die vergangene Bundesregierung ein Gesetzespaket, um „mit allen Mitteln den freien Meinungsaustausch zu verteidigen“. Auch im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es ganz unmißverständlich: „Wir stärken die Arbeit gegen Haß im Netz und Verschwörungsideologien.“ Was kaum jemand weiß, der Verfassungsschutz verbreitet selbst munter Haß und Hetze über Fake-Accounts in den sozialen Netzwerken. 

Konkret geht es um „virtuelle Agenten“, deren Aufgabe es ist, „selbst ein bißchen rechtsradikal zu spielen“, wie jüngst der Chef eines Landesamtes des Verfassungsschutz anonym der Süddeutschen Zeitung verriet. „Das ist die Zukunft der Informationsbeschaffung.“ Dabei gehe es um so viele Accounts, daß sich die verschiedenen Sicherheitsbehörden mittlerweile untereinander absprechen müssen, um sich nicht gegenseitig zu verfolgen. Ein Inlandsgeheimdienst, der die Stimmung erzeugt, vor der die Bundesregierung warnt? 

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess traute seinen Ohren nicht und schickte der Bundesregierung einen umfangreichen Fragenkatalog. Hess wollte unter anderem wissen, wie viele solcher Accounts es gibt, ob deren Beiträge bezug auf Parteien nehmen und inwiefern diese Beiträge in die Statistiken zur sogenannten und im Strafgesetzbuch nicht definierten „Haßkriminalität“ eingehen. Die Antworten liegen der JUNGEN FREIHEIT exklusiv vor. „Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, daß eine Antwort aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erfolgen kann.“ Heißt im Klartext, die Informationen sind so brisant und geheim, daß die Antworten nicht mal in der Geheimschutzstelle des Bundestages hinterlegt werden, wie eigentlich üblich. 

Sonst dürfen Abgeordnete in dem streng abgeschirmten Raum und ohne Mobiltelefon die Unterlagen, die als Verschlußsachen eingestuft wurden, zumindest persönlich einsehen. „Im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der wehrhaften Demokratie hält die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, daß selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann.“ Immerhin stellt die Regierung klar, daß der Verfassungsschutz nicht seine eigenen Accounts beobachtet. 

Für den AfD-Abgeordneten Hess hat die Antwortverweigerung System. „Seit Antritt dieser Koalition ist dieses Verhalten verstärkt zu beobachten, immer mit dem Verweis, daß bei einer Auskunft angeblich das Staatswohl gefährdet sei. Damit tritt die Regierung zentrale Oppositions- und Abgeordnetenrechte mit Füßen“, sagte er der jungen freiheit. Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags würde die Regierung antworten müssen. Dort allerdings ist die AfD nicht vertreten, da ihre Kandidaten von den anderen Parteien nicht gewählt werden. „Auf diese Weise werden ebenfalls vitale und geradezu demokratiekonstituierende Oppositionsrechte verweigert“, kritisiert Hess.