© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Grüße aus … New York
Russische Abende
Marc Brüning

Die Begrüßung des Wirts fällt kurz aus, verglichen mit der sonst üblichen in unserem Stammrestaurant Via Garibaldi: „Das ist verrückt, Deutschland begeht Selbstmord.“ Man kann jetzt offen darüber sprechen, denn der alteingesessene Albaner mit dem italienischen Flair hat sein Lokal verkauft, verläßt New York und zieht mit der Familie nach Florida, wie einige bereits vor ihm. Jedes Abendessen dort – und es waren viele in den vergangenen Jahren – wurde durch die Kommentare von ihm zur weltpolitischen Analyse garniert. So kam es, daß auch der Konflikt in Europa und die deutsch-russischen Beziehungen ein Thema wurden. Der Wirt A. ist klar im pro-russischen Camp zu verorten. Vor allem hätten die USA im Ukraine-Konflik nichts verloren, so sein Credo.

„Willst du denn zurück nach Europa irgendwann?“ frage ich, nachdem ich meinen ersten Green Apple Martini konsumiert habe. „Nein, da gehe ich nicht zurück nachdem, was 1991 und danach passiert ist.“ Er spricht von seiner Erfahrung aus dem serbisch-bosnischen Konflikt.

Einige Tage später hing eine FBI-Notiz an der Tür, daß das Betreten des Restaurants nicht erlaubt sei. 

Sein langjähriger Mitarbeiter aus Montenegro gesellt sich zu uns dazu. So richtig grün sind die beiden nicht miteinander. „Du hast keine Ahnung...“, höre immer wieder. 

Ursprünglich war das Speiselokal ein argentinisches Steak-Restaurant, das seltsamerweise kaum zahlende Gäste aufwies, aber trotzdem in der Lage war, sich viele Jahre an der Hauptverkehrsstraße Broadway in White Plains zu halten. Nachdem der Argentinier dann verschwand, hatte der Gastronom A., der zunächst das Restaurant Via Veneto betrieben hatte, die Anmietung des Restaurants übernommen und komplett renoviert. 

Danach ging es steil bergauf – bis 2022. Was zunächst wie ein weiteres erfolgreiches Jahr aussah, wurde der Ausstieg von A. Man kann nur vermuten, was geschah, aber der russische Abend und die Kommentierung desselben hatte bei unseren nächsten Besuchen zur Folge, daß das Restaurant jeweils recht wenig frequentiert war und andere Gäste erschienen, die wiederum die Latinos verschwinden ließen. 

Eines abends offenbarte sich dann eine Gruppe der Strafverfolgungsbehörde, die sich um den Schutz der nationalen Sicherheit kümmert, und sprach an der Bar über Kriminalität in White Plains. Als ich belustigt den abseits sitzenden Wirt auf den Stand der deutsch-russischen Beziehungen ansprach, erwiderte er nur grimmig, daß es nichts mehr zu sagen gebe, aber Rußland würde den Krieg gewinnen. Einige Tage später hing eine FBI-Notiz an der Tür, auf der stand, daß eine Untersuchung stattfinde und das Betreten des Restaurants nicht erlaubt sei. Wiederum eine Woche darauf war das Restaurant wieder offen. Ich sah ihn ein letztes Mal, und er gab mir eine kurze Umarmung.