© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Jubel über weltfremde Versprechungen
Brasilien: Lula da Silvas sozialutopische Ideen könnten das Land in den Staatsbankrott führen
Wolfgang Bendel

Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gewann die Präsidentschaftswahlen in Brasilien und zeigte sich euphorisch seinen Anhängern: „Von allen Siegen, die ich errungen habe, ist dies der schönste Sieg, denn wir haben den Autoritarismus und den Faschismus besiegt. Die Demokratie ist zurück in Brasilien. Die Freiheit ist zurück in Brasilien“, erklärte der Wahlsieger in einer ersten Stellungnahme, wobei er sich noch der Wahlkampfrhetorik bediente.

An anderer Stelle klang er dann etwas versöhnlicher: „Ich wurde gewählt, um 215 Millionen Brasilianer zu regieren. Ich werde ohne Unterschied für alle regieren. Ohne darauf zu achten, ob man reich oder arm ist. Ob man rechts oder links ist.“ Mit Blick auf das von ihm angestrebte Verbot, Waffen zu besitzen, sagte er: „Es ist an der Zeit, die Waffen niederzulegen, die niemals hätten geschwungen werden dürfen. Waffen töten. Und wir wählen das Leben.“ Zu dieser Aussage steht in gewissem Widerspruch, daß der Sieg Lulas in den Vierteln, die vom organisierten Verbrechen kontrolliert werden, besonders euphorisch gefeiert wurde.

Vor allem das Militär lehnt den Sozialisten mehrheitlich ab

Im zweiten Wahlgang erhielt Lula von der linken PT (Partido dos Trabalhadores – Partei der Arbeiter) 50,9 Prozent der Stimmen, während für Bolsonaro von der rechtsgerichteten PL (Partido Liberal) 49,1 Prozent der Wähler votierten. In absoluten Zahlen entfielen cirka 60 Millionen Stimmen auf Lula und 58 Millionen auf Bolsonaro. Zwar gewann der amtierende Präsident gegenüber dem ersten Wahlgang etwa sechs Millionen Stimmen dazu, was aber trotzdem nicht reichte, um Lula zu überholen, der um cirka zwei Millionen Stimmen zulegte.

Bolsonaro seinerseits hatte sich Montag und  Dienstag, dem Redaktionsschluß dieser Zeitung, nicht zum Wahlausgang geäußert und seine Wahlniederlage weder eingestanden noch Lula zum Wahlsieg gratuliert. Seine Anhänger vermuten Wahlfälschungen und Manipulationen in großem Stil. Fernfahrer blockieren zahlreiche Überlandstraßen, da sie die Legitimität des Ergebnisses anzweifeln. Immer wieder gibt es Gerüchte über ein Eingreifen des Militärs in den nächsten Tagen. Gerüchte, die eher das Wunschdenken der Verbreiter wiedergeben, als daß sie besonders realistisch wären.

Lula steht vor zahlreichen Herausforderungen, die dem 77jährigen alles abverlangen werden. Zunächst sieht er sich einem Kongreß gegenüber, der von den Parteien der Rechten und der Mitte dominiert wird. Denn wichtige Bundesstaaten wie São Paulo, Minas Gerais oder Rio de Janeiro erhielten bei den gleichzeitig stattfindenden Gouverneurswahlen konservative Gouverneure. 

Vor allem das Militär lehnt Lula da Silva mehrheitlich ab und dürfte sein Veto gegen die geplante Internationalisierung des Amazonasgebietes einlegen. Ein Durchregieren, wie es von seinen Anhängern erwartet wird, wird schwierig sein. Ein anderes Problem sind die viel zu hohen Erwartungen dieser Anhänger, die Lula selbst dann nicht erfüllen könnte, wenn er den Willen dazu hätte. Eine gewisse Enttäuschung scheint daher vorprogrammiert zu sein. Sollte es nicht so laufen wie geplant, wird man schnell nach Sündenböcken suchen, was die angespannte politische Situation im Land nur noch mehr vergiften würde.

Der erfahrene Vizepräsident soll Stabilität garantieren 

Zusammen mit Lula wurde Geraldo Alckmin von der PSB (Partido Socialista Brasileiro) zum Vizepräsidenten gewählt. Alckmin ist ein politisches Schwergewicht und war acht Jahre Gouverneur des größten und wichtigsten Bundestaates Sao Paulo gewesen. Zahlreiche Beobachter gehen von der Möglichkeit aus, daß Alckmin im Verlauf der nächsten vier Jahre Lula ablösen wird. Ein Professor für Geisteswissenschaften aus Rio Grande do Sul erklärte mir gegenüber: „Ich wage zu sagen, dasßLula keine zwei Jahre an der Regierung bleibt.“ 

Gegen eine Dauerlösung Lula spricht nicht nur dessen hohes Alter und seine angeschlagene Gesundheit, sondern vor allem die Tatsache, daß er mit seinen sozialutopischen Ideen Brasilien an den Rand des Staatsbankrotts führen könnte. 

Im Wahlkampf vorgetragene Versprechungen wie etwa, er werde garantieren, daß jede brasilianische Familie wöchentlich ein Kilogramm bestes Fleisch konsumieren können wird, sind weltfremd. Blicke nach Venezuela und Argentinien lassen erahnen, welche Richtung das Land in diesem Falle nehmen könnte. 

Um dies zu verhindern, wurde ihm ein erfahrener Politiker wie Alckmin zur Seite gestellt, der im „Notfall“ die Amtsgeschäfte übernimmt. In der Politik geschieht nichts aus Zufall. Dies gilt besonders für ein Land der Größe und Bedeutung Brasiliens.