© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Große Belastungen drohen
Jahressteuergesetz: Anpassung der Immobilienwerte / Handlungsbedarf für Erblasser?
Stefan Kofner

Wirtschaftsmedien und der über 900.000 Mitglieder zählende Eigentümerverband Haus & Grund läuten im Verein mit Steuerberatungskanzleien und anderen seit Wochen die Alarmglocken. Verschiedene Regelungen im Jahressteuergesetz 2022 erzwängen eine deutlich höhere Bewertung von Wohnimmobilien, und darauf müßten zukünftige Erblasser im Zweifel noch rechtzeitig in diesem Jahr reagieren, um ihren Nachkommen Erbschaftsteuern zu sparen. Wen betreffen diese Änderungen und was kann man jetzt noch tun?

Ein Blick in die Statistik zeigt, daß wir hier nicht über Peanuts reden, sondern über die größte Welle an Vermögensübertragungen aller Zeiten. Das geerbte Vermögen in Deutschland hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt und betrug im vergangenen Jahr insgesamt 63,4 Milliarden Euro, davon 24 Milliarden Grundvermögen. Hinzu kommt noch verschenktes Vermögen im Umfang von 54,6 Milliarden Euro. Das Steueraufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungssteuer – der zweitwichtigsten Landessteuer – hat sich seit 2013 mit inzwischen fast zehn Milliarden Euro mehr als verdoppelt, wobei über 80 Prozent des Aufkommens auf die Erbschaftsteuer entfallen.

Keine parallele Anhebung der steuerlichen Freibeträge vorgesehen

Die geplanten Verschärfungen bei der Wertermittlung können im Einzelfall die steuerlichen Immobilienwerte tatsächlich deutlich nach oben treiben. Das FDP-geführte Bundesfinanzministerium verweist jedoch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der der Verkehrswert als Besteuerungsgrundlage bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer dient. Mit den Änderungen werde lediglich das Bewertungsverfahren an die aktuellen Marktverhältnisse angepaßt, und das sei eben verfassungsrechtlich zwingend. Das Problem ist allerdings: Der Anhebung der für die Steuerberechnung geltenden Immobilienwerte steht keine parallele Anhebung der Freibeträge gegenüber.

Diese reichen – abhängig vom Verwandtschaftsgrad – von 20.000 bis 500.000 Euro. Das geerbte Eigenheim bleibt jedoch unabhängig von seinem Wert steuerfrei, wenn der überlebende Ehepartner oder die Kinder die Selbstnutzung fortsetzen. Für die eigenen Kinder gilt allerdings eine Obergrenze von 200 Quadratmetern. In allen anderen Fällen unterliegen Immobilienwerte – mit knapp bemessenen Freibeträgen – der Erbschaftsteuer. Die Steuersätze liegen zwischen sieben und 50 Prozent, je nach Verwandtschaftsgrad und Wert des steuerpflichtigen Erwerbs. Angesichts des heutigen Immobilienpreisniveaus besonders in den Metropolen und ihrem Umland sind die Freibeträge inzwischen so niedrig, daß vielen Erben große Belastungen drohen.

Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf die Immobilienwertermittlung in vier kritischen Punkten neu geregelt: Beim Ertragswertverfahren für Mietwohnimmobilien werden Bewirtschaftungskosten von den Mieterträgen abgezogen. Bisher waren dafür die Erfahrungssätze der Gutachterausschüsse maßgeblich und hilfsweise wurden pauschale Prozentsätze angewendet. Diese liegen abhängig von der Restnutzungsdauer zwischen 21 und 29 Prozent. Ab 2023 sollen nur noch feste Pauschalbeträge für Verwaltung, Instandhaltung und Mietausfallwagnis gelten, die in der Regel deutlich ungünstiger sind. In der Folge steigt der „Jahresreinertrag“ und damit der entscheidende Ertragswert der Immobilie.

Die neuen Pauschalen sind erstens zu niedrig und zweitens zu wenig differenziert: Bei den Instandhaltungskosten (neun Euro je Quadratmeter) wird nicht nach dem Baujahr unterschieden. Diese Neuregelung betrifft alle vermieteten Immobilien und besonders Wohnungen mit hohen Mieten sowie alte Gebäude. Für das Ertragswertverfahren wird außerdem der unter anderem von Lage, Immobilienart und Restnutzungsdauer abhängige Liegenschaftszinssatz gebraucht. Je niedriger dieser Zins, desto höher fällt der Immobilienwert aus. Der Gesetzentwurf sieht ab 2023 für Regionen, in denen Liegenschaftszinssätze der Gutachterausschüsse fehlen, für Mietwohngrundstücke nur noch einen Zins von 3,5 statt fünf Prozent vor – und das in einem Umfeld mit steil ansteigenden Kapitalmarktrenditen.

Trotzdem nicht zu übereilten Entscheidungen hinreißen lassen

Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser sind für die Erbschaftsteuer grundsätzlich nach dem Vergleichswertverfahren zu bewerten. Liegen keine Vergleichswerte der örtlichen Gutachterausschüsse vor, wird das Sachwertverfahren angewendet. Dabei sind zukünftig die Regionalfaktoren der Gutachterausschüsse heranzuziehen, um den Baukostenunterschieden im Raum gerecht zu werden. In Regionen mit hohen Baupreisen wird das die Sachwerte erhöhen. Der Bodenwert und der Gebäudesachwert ergeben den vorläufigen Sachwert des Grundstücks. Dieser ist mit einer Wertzahl (Sachwertfaktoren der Gutachterausschüsse) zu multiplizieren. Wo es keinen Sachwertfaktor gibt, wird die gesetzliche Vorgabe angewendet, wobei die Wertzahlen in dem Entwurf über das gesamte Spektrum wesentlich angehoben wurden.

Bis auf die Neuregelung der Bewirtschaftungskosten betreffen diese Stellschrauben nur Regionen, in denen die entsprechenden Angaben der Gutachterausschüsse fehlen. Die jeweiligen Auswirkungen auf den steuerlichen Wert sind abhängig von den individuellen Eigenschaften der Immobilie. Und was ist jetzt zu tun? Bis zum Jahresende ist nicht mehr viel Zeit, um die vorzeitige Übertragung von Immobilien in die Wege zu leiten. Als erstes sollten Erblasser feststellen, inwieweit die erforderlichen Angaben von dem örtlich zuständigen Gutachterausschuß zur Verfügung gestellt werden.

Als nächstes müssen die Auswirkungen der pauschalierenden Vorgehensweise auf den steuerlichen Wert der Einzelimmobilie abgeschätzt werden. Außerdem müssen die Auswirkungen auf die steuerliche Belastung der Erben ermittelt werden (Freibeträge je nach Verwandtschaftsgrad, Selbstnutzung durch den Erben oder nicht). Es empfiehlt sich hier, den Rat eines qualifizierten Steuerberaters einzuholen, der den Handlungsbedarf abschätzen und die steuerliche Gestaltung einleiten kann.

Aber Betroffene sollten sich nicht aus Steuerpanik zu übereilten Entscheidungen hinreißen lassen. Die Chancen und die Risiken einer lebzeitigen Übertragung durch Schenkung müssen Sie für sich genau abwägen. Lieber einmal mehr drüber schlafen. In vielen Fällen ist die lebzeitige Übertragung mit vorbehaltenen Rechten wie Nießbrauch, Wohnungsrecht, Versorgungs- oder Pflegeleistung besser als die reine Schenkung.

Entwurf des Jahressteuergesetzes 2022: dserver.bundestag.de