© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Gipfeltreffen der Islamkritiker
Unter Polizeischutz: Eine prominent besetzte Konferenz erkennt einen dramatischen Wandel des moslemischen Fundamentalismus
Collin McMahon

Rund um die Uhr wurde Schloß Leopoldskron von Sicherheitskräften bewacht. Zu groß war die Gefahr, daß die Konferenz über modernen Islamismus zur Zielscheibe von Angriffen wird. Besonders brisant: Das Treffen der versammelten Islamkenner und -Kritiker – darunter auch die Bestsellerautoren Ayaan Hirsi Ali und Hamed Abdel Samad sowie die Imamin Seyran Ateş aus Berlin – mußte streng geheim gehalten werden, um Attacken vorzubeugen. Für etliche der Gäste war das allerdings der leidvolle Normalzustand. Viele von ihnen leben schon seit Jahren unter Polizeischutz. „Als die Muslimbruderschaft in den 1920er Jahren gegründet wurde, waren sie Außenseiter, verfolgt, verstoßen und sogar verboten“, sagte ein US-Terrorexperte, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte. „Nun sind wir es, die verfolgt, verstoßen und manchmal sogar verboten werden.“ Ziel der Konferenz war es, die Dynamik der Marginalisierung von Islamkritik zu brechen. „In die Offensive gehen“ lautete das Motto.

Ayaan Hirsi Ali (52) zeigte sich beeindruckt von der Kulturlandschaft in Salzburg. „Es ist schwer sich vorzustellen, daß ein Volk, welches wie hier in Salzburg solche Schönheit hervorbringen konnte, vor 80 Jahren solche Greueltaten begehen konnte“, sagte sie. Doch dies gebe ihr auch Hoffnung im Kampf gegen den radikalen Islam. Der Besuch von Kriegs- und Holocaustdenkmälern in Deutschland und Österreich stärke ihre Zuversicht, daß selbst die gefährlichsten Ideologien besiegt werden könnten. In den letzten zwei Jahrzehnten habe sie gehofft und geträumt, Gemeinsamkeiten mit Muslimen zu finden, gegen die Muslimbruderschaft und den IS. Dieses Wochenende sei ein Schritt in diese Richtung, so Hirsi Ali, die dem Problem der Islamisierung auffallend optimistisch begegnet. Dies liege in erster Linie an grundlegenden Veränderungen in der islamischen Welt, wo der politische Islam in Ländern wie Saudi-Arabien und den Golfstaaten auf dem Rückzug sei. Saudi-Arabien habe aufgehört, die Dawa (arabisch für Missionierung) in aller Welt zu finanzieren. Die Bedrohung durch den IS habe diese Länder davon abgebracht, den radikalen Islam und den Wahabismus weiter zu finanzieren. Außerdem merkten die Golfstaaten, daß sie nicht ewig von Erdöl leben können. Daher steige der Druck, sich zu modernisieren und zu öffnen.

Unterwanderung der westlichen Welt ist die größte Gefahr

In Saudi-Arabien gebe es jetzt unter Mohammed bin Salman öffentliche Discos, Frauen dürften plötzlich Auto fahren und alleine ausgehen. Auch der Protest der Frauen im Iran markiere eine Zeitenwende, egal wie die Demonstrationen ausgingen. „Ich erhalte jetzt Einladungen aus Ägypten und Saudi-Arabien, von denselben Menschen, die mich vor wenigen Jahren noch umbringen wollten“, so Hirsi Ali. „Jetzt wollen sie mit mir den Islamismus bekämpfen.“ Während die islamischen Staaten sich immer mehr vom radikalen Islam abwendeten, sei der Schwerpunkt des politischen Islam jetzt im Westen, so die einhellige Meinung auf der Konferenz. Die Muslimbruderschaft und Wahabiten seien im Nahen Osten „kollabiert“, so Sam Westrop von Islamist Watch, deshalb wandere jetzt das finanzielle und organisatorische Zentrum dieser Gruppen nach Westen. „Der Islamismus wird zusehends zu einer Angelegenheit des Westens“, so Westrop. Neue Gruppen und neue Finanzierungsströme entstünden, etwa aus Katar, Pakistan oder der Türkei. Es sei deshalb ein Fehler, sich „obsessiv“ auf die Muslimbruderschaft zu konzentrieren.

Die Konferenz identifizierte die Unterwanderung der europäischen Institutionen als größte Gefahr zur Zeit. „Wenn ich mit Journalisten und Politikern rede, gibt es zwei Probleme: Sie verstehen den Islamismus nicht, und sie denken, er wird sich von selbst erledigen“, so der ägyptisch-deutsche Islamexperte Hamed Abdel-Samad (50). Dieser habe sich „drei Stunden mit Bundeskanzler Olaf Scholz unterhalten, der der Ansicht war, daß Coca-Cola und die westliche Kultur triumphieren. Ich habe ihm gesagt, das ist sehr naiv.“

Abdel-Samad warnte vor den „Krawatten-Islamisten“, die „keine Bärte oder Turbane tragen, sondern Adorno und Horkheimer zitieren, um die Moderne zu kritisieren.“ Sie sagten sogar, sie seien „gegen Antisemitismus“. Die Islamisten seien selber konservativ, aber würden von den Linken unterstützt, hätten gute Verbindungen und ließen sich von westlichen NGOs und Regierungen finanzieren. Während die Salafisten sich damit gebrüstet hätten, Europa erobern zu wollen, bieten die Krawatten-Islamisten die Illusion, sich in den Westen integrieren zu wollen. „Sie haben verstanden, daß sie Verbündete brauchen und leugnen ihre Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Sie leugnen das Gebot zum Heiligen Krieg und behaupten, Dschihad bedeute nur, fleißig zu sein. Sie reklamieren Meinungsfreiheit für sich, bis man anfängt, den Islamismus zu kritisieren.“ Während es in Deutschland nicht mehr möglich sei, den Islamismus zu kritisieren, bekämen seine Videos in der islamischen Welt Millionen Aufrufe, so Abdel-Samad: „Junge Muslime dürsten nach einer anderen Perspektive.“ Das Problem im Westen sei, „daß Politiker immer eine Telefonnummer für den Islam haben wollen.“ Da kritische Moslems wie er und Seyran Ateş nicht mehr gehört würden, seien es die Radikalen, die an die Fördertöpfe und runden Tische eingeladen werden. Dabei seien diese Organisationen „Trojaner“, die die Demokratie unterwandern. „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind“, habe Recep Tayyip Erdoğan gesagt.

Die Anwältin und liberale Imamin Seyran Ateş der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin-Moabit beschreibt sich wahlweise als „lesbisch“ oder „bisexuell“ und wundert sich über den geringen Rückhalt der rot-rot-grünen Regierung in Berlin für ihren Ansatz, der doch ganz dem linken Weltbild entsprechen sollte. Während des „Pride Month“ habe sie vor ihrer Moschee die Regenbogenfahne aufgehängt und innerhalb von zwei Wochen „45 Seiten Morddrohungen“ erhalten, die sie an die Berliner Polizei gegeben habe. Passiert sei nichts. Morddrohungen sei Ateş gewöhnt, die seit 16 Jahren Polizeischutz bekommt. Ateş hat eine pro-LGBTQ-Stickerkampagne gestartet, „Liebe ist halal“, auf deutsch und arabisch, die sie in Deutschland und auch im Nahen Osten vertreibe. „Das ist, wofür die Frauen im Iran kämpfen“, so Ateş. „Das Recht, über seinen eigenen Körper zu bestimmen. Das ist doch, was die Linken wollten – My body, my choice? Diese Islamisten töten Menschen, weil sie schwul sind, töten Frauen, die kein Kopftuch tragen. Da sollten die Linken doch dagegen sein?“

Politiker wollen moslemische Wähler nicht vergraulen

Menschenrechtsanwältin Seyran Ateş habe letzte Woche die Reinhold-Maier-Medaille der FDP erhalten, und insgesamt 34 Auszeichnungen, sei aber „frustriert“ von der Untätigkeit der Politik: Trotzdem fände jetzt die WM in Katar statt. Sowohl sie als auch Hamed Abdel-Samad hätten die Deutsche Islam-Konferenz verlassen, die 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen wurde, aber von Ditib und Muslimbruderschaft unterwandert sei.  Schäuble hätte ihr gesagt, ihre Ideen seien zwar interessant, „aber wie viele liberale Muslime gibt es überhaupt?“ Es gebe viele, in der Türkei und anderen islamischen Ländern, so Ateş. „Aber wie viele gibt es in Deutschland?“, so Schäuble. Da sei ihr klargeworden, daß es Schäuble nicht um Inhalte gehe, sondern um Wählerstimmen. „Sie glauben, sie gewinnen damit keine Wahlen, wenn sie uns unterstützen“, so Ateş. „Sie lügen, wenn sie sagen, sie hätten nichts gewußt.“ Ateş habe die Grünen und die SPD verlassen, „aber ich halte das heute für einen Fehler. Wir sollten in allen Parteien vertreten sein. Unsere Gegner sind es ja auch.“

Der US-amerikanische Historiker und Publizist Daniel Pipes (73) vom Middle East Forum kam gerade aus Dänemark, wo die regierenden Sozialdemokraten sich gegen Masseneinwanderung und Islamisierung stellten und damit einst an die Macht kamen. Die Lehre daraus – es gebe Dinge, die leicht, Dinge, die schwer und Dinge, die unmöglich sind. „Wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, die einfach sind“, so Pipes: Grenzen zu schließen, illegale Einwanderung zu verhindern und die staatliche Finanzierung islamistischer Vereine zu beenden.

Pipes, seines Zeichens der Spiritus rector der Konferenz, mokierte sich über den Wandel des Begriffes „Islamophobie“, der benutzt werde, um eine Diskussion unmöglich zu machen. „Als sie mich das erste Mal ‘islamophob’ nannten, habe ich mich gewundert“, sagt Pipes, der Arabisch spricht und viele islamische Organisationen unterstützt. „Heute bin ich enttäuscht, wenn sie Listen von ‚Islamophoben‘ machen und ich stehe nicht drauf.“ Pipes zitierte Jordan Peterson: Der Begriff „Islamophobie“ sei „von Faschisten erfunden, von Feiglingen benutzt, um Idioten zu manipulieren“.

Foto: Gläubige nach dem Gebet im katarischen Doha: Wie das Stadtbild, so gibt es auch in der islamischen Religion im Nahen und Mittleren Osten Tendenzen einer Modernisierung