© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Kulturliberales Programm zum Verlust der Mitte
Politik gegen die Mehrheit
(dg)

Mit „Mehr Europa, Klimaschutz, Migrationsfreundlichkeit und LBGTQ“ würde die Sozialdemokratie des Olaf Scholz die Herausforderungen dieses Jahrzehnts nicht bestehen können. Das ist keine allzu gewagte Prognose, doch fand die Redaktion des SPD-Theorieorgans Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte (10/2022) offenbar keinen einheimischen Genossen, der die Empfehlung gewagt hätte, sich von diesen heiligen Kühen der „modernisierten“ Partei zu verabschieden. So mußte denn der niederländische Historiker, Sozialdemokrat und Regierungsberater René Cuperus in die Bütt, um von den deutschen Parteifreunden mehr Realitätssinn zu verlangen. Statt das „moderate Rheinische Modell des egalitären Wohlfahrtstaats und der sozialen Marktwirtschaft“ zu verteidigen, für Cuperus die „Magie Europas“, ein von christ- und sozialdemokratischen Volksparteien geschaffenes „Paradies“, aus globaler Perspektive betrachtet, treibe die SPD mit ihrer Politik für Randgruppen ihre Stammwähler rechten und linken „Populisten“ in die Arme. Mit einem derart „kulturliberalen Programm“ werde die SPD „die Mehrheit der Leute“ verlieren, endgültig zur „Akademikerpartei“ schrumpfen und nie wieder die Mitte besetzen können. Damit vollziehe sich für die „Soziale Demokratie“ nun auch in der deutschen Industriegesellschaft ein Verfallsprozeß, den europäische Schwesterparteien der SPD schon hinter sich und linksdrehende deutsche Christdemokraten vor sich haben. Das Resultat, „mein Albtraum“, zeichne sich gegenwärtig in den USA und Frankreich deutlich ab: „Fragmentierte, völlig polarisierte Gesellschaften ohne politische Mitte“.