© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Politische Symbole wollen propagiert werden
Zeichenkunde: Warum das Vertrauen in die Kraft der Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold eher gering ausfällt
Karlheinz Weißmann

Jede kämpferische Bewegung sucht nach einem möglichst einprägsamen, wenn man so will: charismatischen, Symbol. Oft versteht sie ihr Symbol ausdrücklich als Gegen-Symbol, das man zeigt, um seine Bereitschaft zum Widerstand und zur Durchsetzung gegen den Feind auszudrücken. Umgekehrt werden diejenigen Kräfte, die sich im Besitz der Macht befinden und den Status quo verteidigen, Gegen-Symbole möglichst unsichtbar machen oder ausschalten wollen. Hier spielt das Selbstgefühl der Herrschenden eine Rolle, die keine Infragestellung – auch keine symbolische – dulden. Eine Empfindlichkeit, die auch etablierte Demokratien kennen, wenn es um ihre Hoheitszeichen geht. Man nehme als Beispiel das in Dänemark geltende Verbot, andere Nationalflaggen als den Danebrog vor Privathäusern aufzuziehen, oder den erheblichen gesetzlichen Aufwand, mit dem der Flag Code der USA das Sternenbanner nicht nur vor Schändung und Entwürdigung schützt, sondern auch den rituellen Umgang mit „Old Glory“ definiert.

Teile der Geschichte des „deutschen Dreifarb“ fehlten

Noch deutlicher wird das Gemeinte, wenn es um Symbolverbote geht. Das betrifft im deutschen Fall nicht nur das Hakenkreuz als Chiffre der NS-Ideologie, sondern eine immer länger werdende Liste von teils verwandten, teils ganz anderen Zeichen. Erstaunlich ist dabei nicht nur eine Rigidität bei der Verfolgung, die man sonst nur aus autoritären Regimen kennt, sondern auch die Annahme einer Suggestionskraft der in Frage stehenden Symbole, denen man offenbar zutraut, eine längst tote Weltanschauung auf magische Weise ins Leben zurückzurufen. Verglichen damit ist das Vertrauen in die Macht der eigenen Symbole eher gering. Was einerseits damit zu tun hat, daß die Politische Klasse der Bundesrepublik mit deren Verächtlichmachung groß geworden ist, andererseits auf die irrige, aber verbreitete Vorstellung zurückgeht, daß es per se „gute“ und per se „böse“ politische Symbole gebe.

Deutlich wurde das angesichts der Debatte des vergangenen Jahres über ein Verbot der alten Nationalfarben Schwarz-Weiß-Rot. Deren Verwendung durch sogenannte Reichsbürger und eine bunte Schar von Corona-Gegnern hat in etablierten Kreisen für Unmut gesorgt. Allerdings war man zu der Überzeugung gekommen, daß die Unterdrückung allein nicht genügen werde und suchte parallel dazu eine Art politisch-korrekten Patriotismus zu kreieren. Dessen symbolischer Fokus sollte Schwarz-Rot-Gold sein, und prompt brachte die Bundeszentrale für politische Bildung eine Sonderausgabe des Buches „Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen“ von Enrico Brissa in Umlauf.

Bestimmend für das Verfahren Brissas war die didaktische Reduktion. Dazu blendete der Protokollchef des Deutschen Bundestages Teile der Geschichte von Schwarz-Rot-Gold aus und verzeichnete andere so, daß der Leser unmöglich einen sachgerechten Eindruck der Entwicklung gewinnen konnte. Man fand also Hinweise auf den Ursprung des „deutschen Dreifarb“ in Befreiungskriegen und Urburschenschaft, die Bedeutung für den Vormärz, das Hambacher Fest und die Revolution von 1848/49. Aber es fehlte schon der Versuch einer Wiederbelebung durch das Haus Habsburg im Vorfeld des Krieges von 1866 und jede Erklärung für das Weiterleben als zentrales Symbol der Großdeutschen, der Liberalen, aber auch der Völkischen am Ende des 19. Jahrhunderts. Lücken, die wohl weniger auf Unkenntnis als auf die Absicht zurückzuführen waren, Irritationen beim Leser zu vermeiden. Weshalb man auch Hinweise auf den Mißbrauch von Schwarz-Rot-Gold durch die Gegner Deutschlands und den organisierten Landesverrat während des Ersten Weltkriegs so vergeblich sucht wie Informationen darüber, daß der entscheidende Grund für die Einführung als Nationalflagge 1919 der – von den Siegermächten vereitelte – Anschluß Deutsch-Österreichs war.

Man kann zur Erklärung letztlich darauf hinweisen, daß der Staat wie jede politische Partei die Möglichkeiten der Symbol-Propaganda nutzt. Was aber auch bedeutet, daß die Auskünfte, die von interessierter Seite über den Ursprung, die Genese und die Bedeutung eines Symbols geliefert werden, nicht immer Vertrauen verdienen, eher im Gegenteil. Auch darum erscheint es dringlich, eine verläßliche Basis für die Meinungsbildung in dieser Frage zu erhalten. Das ist häufig schwerer, als man vermuten sollte. Denn fundierte Informationen finden sich verstreut und sind nur schwer in den größeren Zusammenhang einzuordnen. Ein Defizit, das sich vor allem durch das Fehlen spezialisierter Forschung erklärt. Robert Langdon – Professor der Symbologie an der Universität Harvard – ist nicht nur der einzige Vertreter seines Faches, sondern – was schwerer wiegt – eine fiktive Figur, der Phantasie des US-Thriller-Autors  Dan Brown entsprungen. Auch aus diesem Grund hofft der Verfasser, mit seinem „Lexikon politischer Symbole“ eine Lücke zu füllen.

Foto: Karlheinz Weißmann: Lexikon politischer Symbole. JF-Edition, Berlin 2022, gebunden, 628 Seiten, 59,90 Euro