© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Es fehlt der rote Faden
Kunstausstellung: In der Schau „Fremde sind wir uns selbst“ wirkt die Zusammenstellung der Exponate arg konstruiert
Claus-M. Wolfschlag

Im Jahr 2002 kam eine deutsche Filmkomödie von Peter Thorwarth mit dem Titel „Was nicht paßt, wird passend gemacht“ in die Kinos. Zwanzig Jahre später könnte man diesen auch als Motto für eine Kunstausstellung im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum nutzen.

Werke unterschiedlichster Künstler und Epochen werden thematisch verbunden. Das muß keinesfalls uninteressant sein, doch der rote Faden wirkt in Wuppertal arg konstruiert. Offiziell heißt die Schau „Fremde sind wir uns selbst“, und es soll darin erfahrbar gemacht werden, „wie sich gesellschaftliche und soziale Rollenvorstellungen in Bilder vom Menschen einschreiben und wirken“. Das klingt in manchen Ohren angesichts der aktuellen medialen Überfütterung mit ähnlich klingenden Verlautbarungen wie ein vorsichtiger Bezug auf die Gender-Ideologie. Und die stark präsenten fotografischen Selbstbildnisse der Südafrikanerin Zanele Muholi werfen zudem Fragen nach Rücksichtnahmen auf den postkolonialen Diskurs auf. So spielten ihre Selbstbildnisse „auf subtile Weise mit geschlechtsspezifischen Konventionen und zielen (…) auf die Auflösung repressiver Narrative“.

Der Titel der Schau, so verlautbart die Ausstellung, sei einem Buch Julia Kristevas aus dem Jahr 1990 entliehen. Im selben Maße, in dem wir einander fremd sind und uns gegenseitig beargwöhnen, seien wir auch uns selbst fremd, lautet die These. Die Erkenntnis dieser Weisheit sei der Schlüssel zum Umgang mit dem Anderssein. Nun mag etwas daran sein, indes handelt es sich dabei auch um Schönwetterphilosophie, die Konflikte unterschiedlicher Wertemuster ebenso ignoriert wie das Momentum der Gefahr.

Der durch derlei potentielle Verrenkungen im Sinne des linken Zeitgeistes bereits abgeschreckte Besucher kann allerdings aufatmen. Die Schau ist in Wirklichkeit inhaltlich brav, und man kann in Ruhe die ein oder andere Perle entdecken, wenn man nicht allzuviel Wert auf deutlich erkennbare Zusammenhänge legt.

Soziale und kulturelle Rollenmuster, Identität und Intimität

Ein Raum widmet sich „Formen der Inszenierung“ und behandelt unsere unterschiedlichen Situationen angepaßten sozialen und kulturellen Rollenmuster. Identität sei also nicht statisch, sondern fließend, wird erklärt. Ein anderer Raum zeigt bewußt Körper ohne Gesichter. In Folgeräumen werden Akte präsentiert, denen das Prädikat „selbstbewußt“ verpaßt wurde, und Blicke der Versunkenheit, die sich nach einem außerhalb des Bildraums befindlichen Ziel ausrichten. Zuletzt geht es um Nähe und den Schutz vor allzu direkter Intimität.

So breit die Thematik, so vielfältig ist die gezeigte Kunst. Neben Fotografie der Gegenwart sieht zahlreiche Ölgemälde vom Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestellt. Mit Paula Modersohn-Becker, Wilhelm Lehmbruck, Oskar Kokoschka, Edvard Munch, Adolf Erbslöh und Auguste Herbin sind darunter einige Hochkaräter versammelt.

Die Ausstellung „Fremde sind wir uns selbst. Bildnisse von Paula Modersohn-Becker bis Zanele Muholi“ ist bis 29. Januar 2023 im Wuppertaler Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, zu sehen.

 https://von-der-heydt-museum.de/