© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Die ersten Flügelschläge
Nach dem Twitter-Kauf durch Elon Musk steht die Plattform vor ihrer Neuerfindung
Florian Werner

Der „Der Vogel wurde freigelassen“ – mit diesen Worten versetzte der zur Zeit reichste Mann der Welt, Tesla-Chef Elon Musk, die gesamte Medienwelt in Aufruhr. Kurz zuvor hatte der Mitbegründer von PayPal die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter abgeschlossen. Rund 44 Milliarden Dollar soll der Deal gekostet haben. Nun wird gerätselt, wohin die Reise geht. Wird Musk – der sich selbst einmal als „Meinungsfreiheitsabsolutisten“ bezeichnete – damit aufhören, herabwürdigende und verletzende Beiträge in dem Netzwerk zu verfolgen, wie linke Kritiker befürchten? Oder wird er für mehr Meinungsfreiheit auf der Plattform sorgen, wie zumeist konservative Befürworter des Twitter-Deals sich das erhoffen? Sogar die Chefin des russischen Auslandssenders Russia Today, Margarita Simonjan, kommentierte den Wechsel an der Spitze des Tech-Konzerns. „Elon, wenn du schon für Meinungsfreiheit einstehst, kannst du doch gleich auch den Bann über RT und Sputnik auf Twitter aufheben und auch den Schattenbann gegen mich gleich mit“, twitterte sie. Der EU-Kommissar für Binnenhandel, Thierry Breton, hingegen warnte den Leiter des Raumfahrtunternehmens SpaceX: „In Europa fliegt der Vogel nach unseren Regeln.“ In der EU herrsche eine klare Gesetzeslage zu Meinungsäußerungen im Internet. Diese könne Musk nicht einfach mit einer unternehmensinternen Regelung umgehen.

Musk muß die Sorgen seiner großen Werbekunden ausräumen

Zuletzt zeigte der in Südafrika geborene Multimilliardär daher ein starkes Interesse daran, die ins Kraut schießenden Spekulationen über das Geschäft wieder einzufangen. „Twitter wird natürlich kein Höllenloch für alles und jeden werden, wo niemand für seine Aussagen belangt wird“, stellte er in einem Statement für Geschäftskunden klar. Denn mit General Motors hat bereits das erste amerikanische Großunternehmen seine Werbetätigkeit bei Twitter bis auf weiteres pausiert. Man wolle erst einmal beobachten, wie sich der Kurznachrichtendienst in Zukunft entwickle, teilte der Autohersteller mit. Für die zurückhaltenden Reaktionen aus der Wirtschaft waren nicht zuletzt auch die ersten Mahnrufe von Nichtregierungsorganisationen wie die der „Human Rights Campaign“ aus Washington D.C. verantwortlich. „Wir sind sehr besorgt über den Twitter-Kauf von Elon Musk. Musk hat angekündigt, die Konten von gefährlichen Akteuren wiederherzustellen, die Extremismus und Falschinformationen verbreiten“, betonte die LGBT-Lobbygruppe jüngst in einer Pressemitteilung. 

Vor allem aber ein ehemaliger Twitter-Nutzer steht seit der Musk-Übernahme im Zentrum vieler Diskussionen: Donald Trump. Der 44. Präsident der Vereinigten Staaten wurde kurz nach dem sogenannten Sturm auf das Kapitol auf Twitter blockiert. Musk hatte bereits Anfang des Jahres signalisiert, die Trump-Sperre aufzuheben, sollte ihm das Unternehmen gehören. Der geschaßte Staatsmann selbst allerdings zeigte sich zunächst wenig erpicht darauf, sein Twitter-Konto zu reaktivieren. „Ich glaube nicht, daß Twitter ohne mich erfolgreich sein wird“, sagte er jüngst dem US-Fernsehsender „Fox News“. Er bleibe lieber auf seinem eigenen Netzwerk „Truth Social“. Dort hat er allerdings nur vier Millionen Abonnenten – im Vergleich zu den rund 88 Millionen, die ihm einst auf Twitter gefolgt sind. Die für den Bann des Ex-Präsidenten mitverantwortliche Chefjuristin Vijaya Gadde mußte indes bereits wenige Tage nach dem Twitter-Deal gehen. Mit ihr hat Musk eine ganze Reihe weiterer Persönlichkeiten aus der Chefetage entlassen. Darunter auch den Hauptgeschäftsführer Parag Agrawal, Finanzvorstand Ned Segal und den Leiter der Rechtsabteilung Sean Edgett. Daß diese Trennung anscheinend nicht ohne böses Blut ablief, wird auch daran deutlich, daß Musk nun versuchen soll, die teils millionenschweren Abfindungszahlungen zu umgehen.

Außer dem einstigen Führungspersonal werden voraussichtlich noch weitere Mitarbeiter den Tech-Konzern verlassen. Wie die Washington Post berichtete, wird im nahen Umfeld von Musk darüber diskutiert, drei Viertel der Belegschaft zu kündigen. Das Unternehmen würde dadurch auf 2.000 Mitarbeiter zusammenschrumpfen. Tesla-Informatiker sollen derweil die Software-Codes des Netzwerks prüfen. Außerdem hat Musk eine Kommission beauftragt, neue Richtlinien für anstößige Tweets zu erarbeiten. Laut der Nachrichtenseite The Verge erwägt die neue Twitter-Spitze auch, für Prominente ein Bezahl-Abo einzuführen. Der Twitter-Vogel steht vor einem gewagten Flugmanöver. Dem Exzentriker Musk ist nichts weniger als die Neuerfindung des Kurznachrichtendienstes zuzutrauen.