© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Extremisten gegen Faulhaber
Der Münchner Kardinal Michael Faulhaber erhob unerschrocken gegen die NS-Machthaber das Wort / Heutigen historischen Scharfrichtern reicht das nicht
Konrad Löw

Braune Rabauken brüllten im Herbst 1938 in Münchens Straßen, als sie seitens der Partei auf „zwanzig Massenkundgebungen“ – so die Presse und so auf Plakaten – aufgefordert worden waren, „gegen das Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen“ zu demonstrieren. Ihr Ruf „an den Galgen, den er längst verdient“ war an eine ganz spezielle Person gerichtet. Wer soll an den Galgen? Der Mob verschwieg den Namen des Hauptverhaßten nicht. „Jetzt ist’s genug mit der Faulhaberei“. Womit hatte Faulhaber den Pöbelzorn erregt? Auch darauf antwortete der Mob mit einem Schmähgedicht: „Die alte Judenschande ist endlich ausgefegt. Die schwarze Lügenbande wühlt weiter unentwegt. Du, deutsches Volk, sag, muß das sein, daß dich bespuckt das schwarze Schwein?“

Faulhaber stand dem Los der Juden nicht gleichgültig gegenüber

Diese Haßgesänge waren vor 85 Jahren während des Judenpogroms vor dem bischöflichen Palais in München vernehmbar, als sich die Anführer des Pöbels anschickten, den Worten sogar Taten folgen zu lassen. Das Schlimmste konnte verhindert werden. Doch die Fassade wurde schwer ramponiert. 1945 hat sich das Blatt gewendet. Die Schreier und Täter von damals sind nicht mehr oder halten still, und die Zielscheibe des Hasses, Michael Kardinal Faulhaber, wurde, als er 1952 starb, weltweit geachtet und geehrt – insbesondere von untadeligen Zeitzeugen. 

Nun aber gibt es Nachgeborene, die sich für berufen halten, anhand neuer Maßstäbe die Vergangenheit neu zu beurteilen, meist auch unter Mißachtung erheblicher Tatsachen, so zur Zeit in Würzburg, wo eine Initiative versucht, eine Umbenennung des Kardinal-Faulhaber-Platzes herbeizuführen, den Unterfranken, der in der Mainstadt, wo er seine Prägungen erhielt und an der dortigen Universität 1895 zum Doktor der Theologie promoviert wurde, zwar nicht am Galgen aufzuhängen, aber sein Andenken mit seinem Namen abzuhängen (siehe Kasten). Dabei werfen dem streitbaren Münchner Kardinal seine Kritiker nicht nur seine nationale Haltung vor, mit der er während des Krieges sogar den Krieg gegen die Sowjetunion rechtfertigte („Für das teuere Vaterland aber wollen wir auch dieses Opfer bringen, wenn es nun notwendig geworden ist zu einem glücklichen Ausgang des Krieges und zur Überwindung des Bolschewismus), sondern versteigen sich zu der Feststellung, daß seine Haltung zur Judenverfolgung „ambivalent“ gewesen sein soll.

Da erscheint es geboten, jede der Parteien, die als Täter oder Opfer beteiligt waren, zu Worte kommen zu lassen, was im vorgegebenen Rahmen nur mit jeweils wenigen Texten möglich ist, die aber im Ergebnis übereinstimmen. Hören wir zunächst namhafte Juden, dann die mörderischen Machthaber von damals selbst und schließlich den, der entehrt werden soll. Alfred Neumeyer, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeine von 1919 bis 1941, im Exil: „Ich gratulierte mit dem Rabbiner Dr. Baerwald dem Kardinal Faulhaber in München, der sich den Juden stets freundlich erwiesen hatte, zu seinem 60. Geburtstag.“

Ludwig Marcuse: „Der fünfundsechzigjährige Kardinal Faulhaber hielt an den vier Advents-Sonntagen und am Silvesterabend des Jahres 1933 in der Münchner St. Michaelskirche Predigten, die in dem Satz gipfelten: ‘Dem Vaterland ist mit aufrechten Jüngern des Evangeliums besser gedient als mit kriegslustigen Altgermanen.’ (…) Denke ich zurück an das Glück, das ich empfand, als ich diese Predigten las, so wird mir klar, was das Wort noch kann – nachdem wir so lange gelernt hatten, was es nicht kann. Es kann einen Sieg gegen eine überlegene Macht anzeigen, der um so größer ist, wenn er nicht im Märtyrertum endet.“

Schon diesen Texten ist zu entnehmen, daß Faulhaber den Juden und dem Judentum nicht gleichgültig gegenüberstand. Als auf Hitlers Geheiß im Juni 1938 die Hauptsynagoge in München abgerissen werden mußte, war Karl Oestreich im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde. Er erinnerte sich: „Am nächsten Morgen rief ich das immer hilfsbereite katholische Ordinariat München an und verkaufte die erst einige Monate vorher eingebaute Orgel um nahezu den Gestehungspreis.“ Kein Kenner der Materie kann bezweifeln, daß hier „Ordinariat“ gleichbedeutend mit Faulhaber ist.

Über diese Einstellung wußten die schier omnipotenten Machthaber Deutschlands Bescheid, und zwar von Anfang an. Hitler in einem Interview, noch bevor er in Berlin das Sagen hatte: „Kardinal Faulhaber. Ein großer Mann, klug, aufrecht, national und monarchistisch gesinnt. Aber Kardinal, verstehen Sie? Kardinal und Erzbischof, und darum verpflichtet, die Anweisungen des Vatikans zu befolgen, sprich, der Juden. Der Vatikan ist das Zentrum der internationalen jüdischen Verschwörung gegen die Befreiung der germanischen Rasse.“ 

Selbst seinen Referenten konnte Faulhaber vor dem KZ nicht retten

Nicht nur Hitler wußte, wo Faulhaber stand, auch Hitlers willige Vollstrecker in all den folgenden Jahren. Der Geheimen Staatspolizei verdanken wir die nachfolgende Aufzeichnung. Sie betrifft Gertrud Luckner, in Israel längst als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt. Die folgende Aufzeichnung stammt vom 30. September 1942. Luckner verkehre bei den einzelnen Bischöfen in Deutschland so frei, wie es noch in keinem anderen Fall gewesen sei. Geradezu selbstverständlich, daß Luckner auf Schritt und Tritt bewacht, ihre Post geöffnet wurde. Sie leite ein „Hilfskomitee für getaufte Juden“ und empfange aktuellste politische Nachrichten aus dem Ausland. Auch erfahren wir: „nach kurzem Aufsuchen des Hotels ging sie um 10.30 Uhr erneut in das Palais des Erzbischofs Faulhaber, wo sie den ganzen Tag verbracht hat.“ Von ihm erhielt sie einen größeren Geldbetrag, den sie einem Priester für das KZ-Theresienstadt zukommen lassen sollte. Am 25. März 1943 kam, womit täglich zu rechnen war: die Verhaftung der „Dr. Luckner“. Die Begründung stellt der Kirche und ihren Mitstreitern, auch Faulhaber, ein bemerkenswertes Zeugnis aus: „Die bisherigen Ermittlungen haben somit einwandfrei ergeben, daß die katholische Kirche in Deutschland in betonter Ablehnung der deutschen Judenpolitik systematisch die Juden unterstützt, ihnen bei der Flucht behilflich ist und keine Mittel scheut, ihnen nicht nur die Lebensweise zu erleichtern, sondern auch ihren illegalen Aufenthalt im Reichsgebiet möglich zu machen. Die mit der Durchführung dieser Aufgaben betrauten Personen genießen weitestgehende Unterstützung des Episkopates. (…) Es kann m. E. ohne Bedenken als Tatsache unterstellt werden, daß die bislang von hier festgestellten Fälle, in denen Juden kirchlicherseits der staatlichen Judenpolitik entzogen wurden, nur einen Bruchteil dessen darstellen, was die Kirche auf diesem Gebiet zustande gebracht hat.“ Am 26. Mai 1943 wurde Luckner auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes wegen ihrer „projüdischen Betätigung und Verbindungen mit staatsfeindlichen Kreisen“ (Faulhaber) in Schutzhaft genommen, am 5. November 1943 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück gebracht, wo sie bis zum Tage ihrer Befreiung, 3. Mai 1945, ausharren mußte. 

Wer diese Bekundungen aufmerksam gelesen hat, kann schwerlich monieren, daß Faulhaber nicht zugunsten einzelner Personen intervenierte. Er mußte hinnehmen, daß sein Referent Johannes Neuhäusler über vier Jahre in NS-Lagern eingesperrt war, gleichsam als Geisel an seiner Statt. Ihm dürfte auch bekannt gewesen sein, daß der mutige Protest der holländischen Bischöfe Massendeportationen ausgelöst hatte. Daher warnte Pius XII. in einer Ansprache an seine Kardinäle: „Jedes Wort, (...), jede Anspielung muß mit allergrößtem Ernst erwogen und gewichtet werden, im eigenen Interesse derjenigen, die leiden, damit ihre Lage nicht noch schwerer und unerträglicher gemacht wird als vorher.“






Prof. Dr. Konrad Löw, Jahrgang 1931, ist Politikwissenschaftler und hat unter anderem in München, Bayreuth und Nürnberg gelehrt. 



Die „Causa Faulhaber“

Nach 70 Jahren wird der Kardinal-Faulhaber-Platz vor dem Mainfranken-Theater mitten im Würzburger Zentrum umbenannt. Dafür hat sich eine Mehrheit des Stadtrates aus Grünen, SPD, Linkspartei und FDP ausgesprochen. Die Verordneten stimmten mit 27 zu 14 Stimmen einem entsprechenden Antrag des FDP-Politikers Joachim Spatz zu. AfD und CSU stimmten gegen die Vorlage. Mit ihrem Votum setzten sich die Stadtvertreter über die einstimmige Empfehlung einer Expertenkommission hinweg, die betreffenden Namensschilder mit Hilfe von Hinweistafeln zu kontextualisieren.

Würzburg hatte erst im Sommer eine Gruppe von Historikern, Juristen und Theologen öffentlich über den Umgang mit dem Namen des Platzes beraten lassen. Der mit der Edition von Faulhabers Tagebüchern betraute Direktor des Münchner Zentrums für Zeitgeschichte, Andreas Wirsching, argumentierte damals, Faulhaber habe die Widerstandskraft der katholischen Kirche zwar überschätzt und sich deshalb stellenweise mit Kritik am Nationalsozialismus zurückgehalten, aber das Hitler-Regime niemals aktiv unterstützt. Der Regisseur und Autor Leo Hiemer zeichnete auf einer Veranstaltung des Würzburger Denkmalvereins „Denk-ort Deportationen“ dennoch ein schlechtes Bild von dem Kardinal. Dieser hätte zu seiner Zeit durchaus mehr für die von den Nazis verfolgten Juden tun können. Bischof Franz Jung aus dem Bistum Würzburg zeigte sich unterdessen enttäuscht von dem Faulhaber-Votum. „Ich bedauere die Entscheidung des Würzburger Stadtrats, den Kardinal-Faulhaber-Platz umzubenennen, und halte sie für falsch.“ Gerade in einer Universitätsstadt wie Würzburg sei das Beiseiteschieben wissenschaftlicher Expertise aus politischen Gründen fragwürdig. „Das Bistum wird Kardinal Michael Faulhaber als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der katholischen Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert auch weiterhin ein ehrendes Gedenken bewahren.“

Die dritte Bürgermeisterin der Stadt, Judith Jörg (CSU), will nun darüber abstimmen lassen, den Platz künftig nach der ehemaligen bayerischen Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) zu benennen. (fw)