© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Fackel im Wüstenwind
Kriegswende im Herbst 1942: Der britische Sieg in Ägypten und die alliierten Landungen in Nordwestafrika
Dag Krienen

Im Frühjahr und Sommer 1942 hatten die Achsenmächte Italien und Deutschland im Mittelmeerraum noch größere Erfolge erzielt. Den Höhepunkt hatte die Einnahme Tobruks im Juni und der sich anschließende Vorstoß der unter dem Kommando Erwin Rommels stehenden deutsch-italienischen Panzerarmee nach Ägypten gebildet (JF 25/22). Diesen hatten jedoch die Briten bei El Alamein zum Stehen gebracht. Rommel unternahm im Juli und Anfang August noch zwei Durchbruchsversuche, die vor den britischen Stellungen scheiterten. Danach gingen auch die Achsenmächte zu einem defensiven Stellungskrieg über und verschanzten sich wie die Briten hinter einem raffiniert angelegten System von Minenfeldern und stark befestigten Stützpunkten. Doch arbeitete die Zeit nun gegen sie.

Der Verlust von Tobruk im Juni 1942 hatte zu einer Klärung der strategischen Prioritäten zwischen US-Präsident Roosevelt und dem britischen Premier Winston Churchill und ihren Stäben geführt. Man einigte sich darauf, daß zunächst der Mittelmeerraum den Schwerpunkt ihrer militärischen Anstrengungen in Europa bilden sollte. Der Mittlere Osten einschließlich Ägyptens würde weiterhin in die Verantwortung der Briten fallen, diese allerdings massiv mit Waffen aus amerikanischer Produktion verstärkt werden. Zugleich drängte Churchill erfolgreich auf eine Landung in Nordwestafrika, das damals unter der Kontrolle Vichy-Frankreichs stand, um die Achsenmächte in Afrika in die Zange zu nehmen.

General Montgomery fürchtete sich vor dem „Wüstenfuchs“

Den ersten Schlag sollte die britische Armee in Ägypten führen. Rommel bewertete schon im September die Versorgungslage der deutsch-italienischen Panzerarmee an der El-Alamein-Front als „äußerst kritisch“. Die verabsäumte Invasion auf Malta rächte sich nun. Zwar scheiterten im Juli noch alle Versuche der Briten, dorthin Nachschubgeleitzüge durchzubringen. Auch der im August von Gibraltar nach Malta geleitete Konvoi (Operation Pedestal) erlitt durch die Angriffe deutscher und italienischer Flugzeuge, U- und Schnellboote schwerste Verluste an Kriegs- und Frachtschiffen. Doch gelang es 5 von 14 Frachtern durchzukommen, darunter auch ein Tanker mit 10.000 Tonnen Treibstoff. Flugzeuge und U-Boote waren nun wieder in der Lage, von Malta aus gegen die Nachschubgeleite der Achse vorzugehen. Hatten im Juli 1942 von 97.794 Tonnen verschifften Gütern der Achsenmächte noch 91.491 Libyen erreicht, waren es im August von 77.224 Tonnen nur noch 51.655 und im Oktober von 83.695 Tonnen nur noch 46.738. 

Zwar wurde Rommels Armee durch die Zuführung einiger ursprünglich für die Invasion Maltas vorgesehener Verbände auf dem Luftwege personell leicht verstärkt, die aber keine ausreichende Fahrzeugausstattung besaßen. Die Verpflegungsstärke der Panzerarmee betrug am 23. Oktober gut 100.000 Mann, einschließlich Kranker, Verwundeter und rückwärtiger Dienste. Die effektive Gefechtsstärke betrug nur rund 60.000 Mann. 

Demgegenüber konnte der neue Oberbefehlshaber der britischen 8. Armee, Bernard Montgomery, seine Streitmacht auf eine Gefechtsstärke von rund 195.000 Mann erhöhen und die Stärke und Qualität seiner Panzerverbände durch den Zulauf von modernen amerikanischen Sherman-Panzern stark vermehren. Am 23. Oktober verfügte er über 700 schwerbewaffnete sowie 420 schnelle und leichte Kampfpanzer an der Front sowie 1.200 in Reserve und Reparatur.

Demgegenüber besaß die Panzerarmee Afrika nur 250 einsatzbereite deutsche und 300 italienische Kampfpanzer, darunter nur 120 deutsche mit Langrohrkanonen. Der Rest der deutschen und praktisch alle italienischen Panzer konnte es mit den 700 schweren Kampfwagen der 8. Armee nicht aufnehmen. Das galt auch für die meisten Panzerabwehrwaffen der Italiener. An Luftstreitkräften verfügten die Achsenmächte in Nordafrika über 150 einsatzbereite deutsche und 200 italienische Flugzeuge, die Western Desert Air Force über 530 einsatzbereite Maschinen, darunter 420 Jagdflugzeuge und Jagdbomber, die den meisten der eingesetzten italienischen Jagdflugzeugmodelle überlegen waren.

Und noch einen weiteren Vorteil genossen die Briten: sie konnten aufgrund des Knackens der deutschen Funkschlüssel die deutschen Operationsabsichten frühzeitig erfassen. Doch trotz all dieser Vorteile plante Montgomery, anders als seine Vorgänger, keine mobile Panzer-, sondern eine systematisch durchgeführte Abnutzungsschlacht, bei der die personell und materiell weit überlegenen Empire-Truppen schrittweise in das deutsche und italienische Stellungssystem einbrechen und es systematisch zerschlagen sollten. 

Am Abend des 23. Oktober begann die Operation Lightfoot, der Großangriff der 8. Armee, der zunächst durch deutsch-italienische Gegenangriffe noch eingedämmt werden konnte. Die sich entwickelnde Abnutzungsschlacht konnten die unterlegenen Deutschen und Italiener aber mangels Nachschub von Treibstoff und Munition nicht gewinnen, während die 8. Armee sich trotz großer Verluste ein „beharrliches Durchfressen“ durch die Achsenstellungen leisten konnte. Am 2. November plante Rommel den Rückzug der gesamten Panzerarmee aus der El-Alamein-Stellung, wurde durch einen Haltebefehl Hitlers aber zunächst noch gehindert. Als jedoch britischen Panzern am 4. November ein Durchbruch sowohl durch die Stellungen des Deutschen Afrikakorps als auch bei der italienischen Panzerdivision Ariete gelang, ordnete er den Abbruch der Schlacht und den allgemeinen Rückzug an.

Wider Erwarten gelang es den verbliebenen motorisierten Verbänden der Achse, sich vom Feind zu lösen und der Vernichtung zu entgehen. Der hinhaltende Widerstand der unmotorisierten italienischen Infanterie trug dazu bei. Zum anderen fürchtete Montgomery weiterhin Rommel als Genie des beweglichen militärischen Manövers und verzichtete auf kühne Vorstöße zur endgültigen Vernichtung des Feindes zugunsten eines langsamen, systematischen und risikolosen Vorrückens.

Die über nur wenige einsatzbereite Panzer verfügende, stark abgekämpfte deutsch-italienische „Panzerarmee“ mußte sich bis Ende November nicht nur aus Ägypten, sondern auch aus der italienischen Kyrenaika (Ost-Libyen) zurückziehen. Der verfügbareTreibstoff reichte nie aus, um zu einer beweglichen Kriegführung mit größeren Gegenangriffen überzugehen. In Tripolitanien konnte sie sich zeitweise in schwer zu umfassenden Stellungen (Marsa-El-Brega, Buerat) etwas länger halten. Am Ende mußte Rommel jedoch auch Tripolis (am 22. Januar 1943) aufgeben und sich Anfang Februar hinter die tunesische Grenze zurückziehen. Die dort von den Franzosen vor 1939 gebaute befestigte Mareth-Linie bot dort einen gewissen Rückhalt.

Tunesien – letzter Brückenkopf Deutschlands in Afrika

Zwischenzeitlich hatten Briten und Amerikaner im November die im Sommer 1942 verabredete Landung von Heereskräften in Französisch-Nord-Afrika in Marokko sowie bei Oran und Algier in Algerien durchgeführt („Torch“ = Fackel). Landungen weiter ostwärts in Tunesien oder gar Libyen waren von den alliierten Stäben als zu gewagt beurteilt worden. Drei gemischte Kampfgruppen landeten am 8. November 1942 jeweils rund 20.000 Mann an Kampftruppen (Amerikaner, Briten und Frei-Franzosen) an. Sie stießen zu Lande nur auf geringen Widerstand, während sich die französische Marine nach Kräften zur Wehr setzte, gegen die alliierte Übermacht aber keine Chance hatte. Hier war noch der hinterhältige Angriff der Briten auf die französische Waffenstillstandsflotte im Juli 1940 bei Mers-El-Kebir in schlechter Erinnerung. Am 10. November befahl jedoch der französische Marinechef und Oberbefehlshaber in Nordafrika, Admiral Darlan, allen Widerstand einzustellen.

Auf deutscher und italienischer Seite war eine solche Landung erwartet worden. Das bislang unter der Kontrolle der Vichy-Regierung stehende Südfrankreich und die Insel Korsika wurden ab dem 11. November von deutschen und italienischen Truppen besetzt (Operation Anton). Schon zwei Tage zuvor waren deutsche Fallschirmjäger nach Tunesien geflogen worden. Die in Algerien angelandeten alliierten Truppen stießen, als 1. britische Armee firmierend, rasch nach Westen vor, trafen aber bereits am 17. November kurz hinter der tunesischen Westgrenze auf deutsche Vorhuten. Tatsächlich gelang es den Achsenmächten, ihren zunächst nur improvisierten Verbänden weitere Verstärkungen zuzuführen, darunter die deutsche 10. Panzerdivision aus Südfrankreich, und bis zum Jahresende eine durchlaufende Frontlinie im Westen Tunesiens aufzubauen und zu stabilisieren. Mit dem Eintreffen von Rommels „Panzerarmee“ an der tunesischen Südostgrenze war es den Achsenmächten Anfang Februar 1943 damit zunächst noch einmal gelungen, einen scheinbar verteidigungsfähigen Brückenkopf in Afrika zu bilden.

Foto: Briten, Franzosen und Amerikaner landen in Afrika: Die Operation „Torch“ (dt. Fackel) gegen die Deutschen und Italiener beginnt