© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Frisch gepreßt

Im Dienste des Kaisers. Es kommt einem Ernst Seyffardts Kantate „Aus Deutschlands großer Zeit“ in den Sinn, schlägt man Frank Langers Dokumentation eines Soldatenlebens auf: Der junge Erich Mittler entflieht der hessischen Provinz, um die Welt zu sehen. In des Kaisers Rock reist er um die Welt, von Kirchhain bis in die deutsche China-Kolonie Kiautschou. Er nimmt am Kampf gegen die Boxer teil, bewährt sich, schafft den Sprung in des Kaisers Garde. Doch gerade als für ihn die „herrlichen Zeiten“ wahr werden, bricht der Weltkrieg aus, und schon beim zweiten Angriff fällt der Feldwebel-Leutnant im Feuer. Es ist dem Autor anzurechnen, daß er mit diesem Schicksal den vielen Soldaten der Epoche ein Denkmal setzt. Auch verzichtet er auf die Arroganz der Nachgeborenen, alles im Lichte des Heute zu sehen. Stattdessen läßt er Mittler durch dessen Briefe sprechen, die er nur dezent verbindet. Doch diese Authentizität ist auch die Schwäche des Bändchens – erschöpfen sich die Episteln doch in der Darstellung äußerer Geschehnisse, die dem halbwegs Bewanderten im allgemeinen bekannt sind. Reflexionen waren Mittlers Sache nicht. Entschädigt wird der Leser aber durch eine erstaunlich üppige Bebilderung, die das Schmökern zur wahren Freude macht. (mo)

Frank Langer: Von Kirchhain nach Kiautschou. Seesoldat und Gardist Erich Mittler – auf den Spuren eines „Peking Kriegers“, im Selbstverlag, Kirchhain, 2022, kartoniert, 155 Seiten, 19,80 Euro





Hemingway. Die Hochzeit von Ernest Hemingways Ruhm in Deutschland fiel ins erste Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Seine Art, Wirklichkeit literarisch zu gestalten, kam den Bedürfnissen einer Leserschaft entgegen, die nach ihren NS-Erfahrungen auf ideologisch aufgeladene Texte erst mal keinen Appetit mehr hatte. Ihnen gefiel Hemingways karger, scheinbar auf fotografisch genaue Wiedergabe der Welt bedachter Stil. In seinem „Irischen Tagebuch“ hat Heinrich Böll, der „deutsche Hemingway“, diese Lakonie perfekt übersetzt. Wie man nach Jahrzehnten erkennen kann, verstellt diese „Kurze Sätze“-Prosa jedoch den Einblick in die komplexeren „porösen Strukturen unseres Daseins“ (Arno Schmidt). Aber Hemingway, verdammt zur leeren Existenz zwischen Angeln, Jagen, Stierkampf und Alkohol, konnte nicht anders. Er kam vom Journalismus her, wo man in der Regel an der Oberfläche haftet. Wie stark Hemingways belletristisches Werk von der „einfachen Sprache“ des Journalisten geprägt war, kann jetzt an den Neuauflagen seiner zumeist langweiligen Reportagen überprüft werden. (wm)

Ernest Hemingway: 49 Depeschen. Reportagen 1920–1956, Rowohlt, Berlin, 2022, broschiert, 511 Seiten, 14 Euro