© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Darf’s schärfer sein?
„Klima-Kleber“: Debatte über härtere Strafen für radikale Straßenblockierer
Christian Vollradt

Übt der Rechtsstaat zuviel Nachsicht gegenüber jenen Radikalen, die sich im Namen des Protests gegen die „Erd-

erhitzung“ – so ihre eigene Wortwahl – an vielbefahrenen Verkehrsknotenpunkten auf die Straße legen und festkleben, die in Regierungs- oder Parlamentsgebäuden mutwillig Brandalarm auslösen oder die in Museen wertvolle Kunstgegenstände mit Lebensmitteln attackieren? Ist die Justiz zu schwach, braucht es härtere Gesetze?

Ja, fordern Oppositionspolitiker; nein, entgegnen Protagonisten der Ampel-Koalition und weisen die Forderungen nach einer Verschärfung des Strafrechts zurück. „Es gibt genügend rechtsstaatliche Instrumente, um gegen radikale Gruppen vorzugehen. Diese müssen konsequent zur Anwendung kommen“, ist etwa FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai überzeugt. Auch der Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, meint, im Strafrecht gebe schon jetzt alle Möglichkeiten, um gegen solche Täter angemessen vorzugehen. „Das ewige Rufen nach höheren Strafen von seiten der Union zeigt deren eklatante Unwissenheit über die derzeitige Rechtslage“, attackierte er die politische Konkurrenz. 

Hintergrund war die Forderung von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach „deutlich härteren Strafen für Klima-Chaoten, um einer weiteren Radikalisierung in Teilen dieser Klimabewegung entgegenzuwirken und Nachahmer abzuschrecken“. Ihr Protest dürfe „kein Freibrief für Straftaten sein“, meinte Dobrindt in der Bild-Zeitung und warnte vor der Entstehung einer „Klima-RAF“. Auch seine Parteikollegin Andrea Lindholz, Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, betonte gegenüber der Welt, mit der Gefährdung von Menschen durch Straßenblockaden und der Beschädigung historischer Kunstwerke würden „rote Linien überschritten“. Darauf müsse der Rechtsstaat härter als bisher reagieren. „Mit Geldstrafen werden wir die zunehmende Radikalisierung nicht aufhalten“, warnte die Christsoziale.

Auch AfD wirft Union  „Oppositionspopulismus“ vor

Der Bild am Sonntag zufolge plant die Unionsfraktion einen Antrag zur Verschärfung entsprechender Tatbestände. So soll Blockierern, die Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten behindern, künftig eine Mindestfreiheitsstrafe drohen. Bei Wiederholungsgefahr sollen die sogenannten Aktivisten vorbeugend in Haft genommen werden können. Und im Falle einer Beschädigung oder Zerstörung von Kulturgütern fordern CDU und CSU eine Mindestfreiheitsstrafe anstelle der bislang geltenden Geldstrafe. Straßenblockaden „sind und bleiben Straftaten, sie gefährden Menschenleben“, bekräftigte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Man müsse „diese unwürdigen Spielchen beenden und härter bestrafen.“

Befeuert hatte die Debatte vergangene Woche vor allem der traurige Fall einer in Berlin von einem Lastwagen überfahrenen und dabei tödlich verletzten Radfahrerin. Ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr hatte am Montag wegen einer Straßenblockade von Mitgliedern der Gruppe „Letzte Generation“ im Stau gestanden und war deshalb verspätet zum Unglücksort gekommen. Die Berliner Polizei stellte deshalb Strafanzeige gegen zwei Blockierer, unter anderem wegen unterlassener Hilfeleistung. Wie die Süddeutsche berichtete, soll die Feuerwehr in einem internen Vermerk allerdings notiert haben, das im Stau steckengebliebene Fahrzeug sei für die Befreiung der unter dem Betonmischer eingeklemmten Radfahrerin nicht mehr benötigt, die später verstorbene Frau bereits vorher befreit worden. 

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wies unterdessen Vorwürfe zurück, der rot-grün-rote Senat lasse die radikalen Straßenblockierer gewähren. „Wir greifen durch. In Berlin laufen mehr als 700 Strafverfahren gegen Klima-Aktivisten, davon wurde bislang nur eines eingestellt. Es sind bereits mehr als 240 Strafbefehle ergangen“, betonte Giffey. „In der Demokratie gehört kritischer Protest dazu, er überschreitet jedoch definitiv jede Grenze, wenn er Menschenleben gefährdet.“

Auch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte es markige Worte dazu gegeben. „Wenn Straftaten begangen werden und andere Menschen gefährdet werden, ist jede Grenze legitimen Protests überschritten“, sagte Faeser der Deutschen Presse-Agentur. „All das hat mit einer demokratischen Auseinandersetzung überhaupt nichts zu tun. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden.“ Der Rechtsstaat lasse sich nicht auf der Nase herumtanzen, so Faeser. „Die Polizei hat meine vollste Unterstützung, wenn sie durchgreift gegen selbsternannte Klimaaktivisten, die seit Wochen mit völlig inakzeptablen Aktionen andere Menschen in Gefahr bringen. Diese Aktivisten stellen sich über das Gesetz und greifen zu Mitteln, die dem wichtigen Anliegen des Klimaschutzes nicht nutzen, sondern erheblich schaden.“ Die Sicherheitsbehörden hätten Radikalisierungsprozesse genau im Blick.

„Wer Rettungswege versperrt, setzt Menschenleben aufs Spiel“, sagte Faeser weiter. Das habe man nun „auf furchtbare Weise gesehen.“ Auch Übergriffe gegen demokratische Institutionen und Parteien verurteile sie scharf. 

So hatten Mitglieder der radikalen Klima-Gruppen vergangene Woche zeitgleich die Parteizentralen der Ampel-Koalitionäre mit aus Feuerlöschern versprühter Farbe attackiert. Dabei waren zumindest vor dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus der FDP auch davor abgestellte Autos und Fahrräder unberteiligter Personen in Mitleidenschaft gezogen worden. 

Der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann machte umgehend auf die föderalen Verantwortlichkeiten aufmerksam: „Gefahrenabwehr ist Aufgabe der Polizei und damit in der Zuständigkeit der Länder“, sagte er dem Focus. Der FDP-Politiker stellte aber auch fest: „Die Zahl der Vorfälle wächst.“ Deren Prüfung obliege nun den jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften, was einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Die Justiz müsse unabhängig von der Politik ihre Arbeit machen. Sein Haus beobachte die Lage jedoch genau. „Sollten wir den Eindruck gewinnen, daß es strafrechtliche Lücken gibt, würden wir handeln“, versprach Buschmann.

Linksextreme „Rote Hilfe“ bietet ihre Unterstützung an

Sitzblockaden beschäftigen Deutschlands Gerichte seit Jahrzehnten bis nach Karlsruhe; nicht zuletzt seit dem berühmten „Mutlangen-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1986. Damals ging es um Blockaden gegen militärische Einrichtungen durch die sogenannte Friedensbewegung. Grundsätzlich können sich Demonstranten, die sich auf die Straße setzen, auf die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit berufen. Strittig war lange, inwieweit dadurch eine (verbotene) Gewaltanwendung vorliegt. Seit einem Urteil von 1995 gilt: Wer sich aus Protest auf die Straße setzt und ein Auto stoppt, übt keine Gewalt aus, sondern nur (zulässigen) psychischen Druck. Sobald aber in der Folge ein zweites Auto anhalten muß, liegt bei einer Sitzblockade die Anwendung von Gewalt vor, denn das erste stehende Auto ist bereits ein „körperliches Hindernis“. Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht 2011 diese sogenannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ bestätigt. 

Die von der „Letzten Generation“ mit Klebstoff hervorgerufenen Staus sind demnach mit Gewalt verbunden. Zumal dadurch neben Nötigung noch andere Straftatbestände vorliegen, etwa Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Gegebenenfalls können zudem ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr oder bei der Behinderung von Rettungskräften eine Körperverletzung im Raume stehen. Kritik am Vorstoß der Union in Richtung Gesetzesänderung hat auch der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Brandner, geübt. Dies sei „klassischer Oppositionspopulismus“ und zudem „vergangenheitsvergessen“. Denn es seien „politische Kräfte um Merkel gewesen, die viele Jahre Linksextreme und Klimaterroristen gepäppelt, gefördert und geduldet“ hätten. Zunächst würde es nun ausreichen, „bestehende Gesetze konsequent anzuwenden und Straftaten robust zu unterbinden.“ Ob Gesetzesänderungen nötig seien, um ein verschärftes Strafmaß einzuführen, müsse dennoch geprüft werden, so Brandner. 

Hessens AfD hat unterdessen die schwarz-grüne Landesregierung aufgefordert, eine Beobachtung der selbsternannten „Klimaaktivisten“ als mögliche terroristische Vereinigung durch den Verfassungsschutz in Erwägung zu ziehen. „Bei zahlreichen Aktionen der ‘Letzten Generation’ handelt es sich um schwere Straftaten aus dem Phänomenbereich ‘Politisch motivierte Kriminalität – links’,“ die mit „zivilem Ungehorsam“ nichts mehr gemein hätten, begründete der stellvertretende innenpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Dirk Gaw, die Forderung.

Bereits Anfang vergangenen Monats hatte Niedersachsens oberster Verfassungsschützer Bernhard Witthaut vor einer Radikalisierung von Teilen der Klimaschutzbewegung gewarnt. Gewalt gegen Sachen wie Pipelines werde in diesen Kreisen als legitimes Mittel angesehen, um die eigenen Ziele durchzusetzen. „Die Aktivisten handeln im Glauben, aus einer vermeintlichen Klima-Notlage heraus ihre Ziele auch mit Gewalt durchsetzen zu dürfen. Diskutieren ist da zwecklos“, betonte Witthaut. Zudem bestätigte der Verfassungsschutzpräsident, worüber auch die JUNGE FREIHEIT bereits mehrfach berichtet hatte: daß sich Gruppen wie „Extinction Rebellion“ und „Aufstand der letzten Generation“ für gemeinsame Schulungen und Demonstrationen mit der linksextremistischen Szene vernetzen. 

Die enge Verbindung unterstreicht auch eine Solidaritäts-Erklärung der linksextremen „Interventionistischen Linken“ (IL), welche die angesichts der Blockaden in die Kritik geratene „Letzte Generation“ auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Mitunterzeichnet ist das Schreiben von der vom Verfassungsschutz beobachteten „Roten Hilfe“. Sie bietet den „Klimarebellen“ finanzielle Unterstützung für die kommenden Prozesse an.