© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Auch wer fragt, bleibt dumm
Paul Rosen

Versuche, die Debatten im Bundestag lebendiger werden zu lassen, sind fast so alt wie der Bundestag selbst. Doch von lebhafter Streitkultur wie etwa im britischen Unterhaus ist man im Reichstag so weit entfernt wie eh und je. Wenn Abgeordnete vorbereitete Fragen stellen und Staatssekretäre Antworten vom Blatt ablesen, hat das die Langeweile im Hohen Haus nicht beseitigen können. 

Mit der eingeführten „Regierungsbefragung“ sollte das Plenum wieder aufblühen. Mittwochs in den Sitzungswochen kommt jetzt ein Minister ins Plenum, um sich den Abgeordneten zu stellen. Die erhoffte Wende zur Debattenkultur trat damit jedoch nicht ein. Im Gegenteil: Zwar stellen Oppositionsabgeordnete oft präzise Fragen, aber die Minister pflegen ausweichend zu antworten. Und manchmal wird sogar die Grenze zur Lächerlichkeit überschritten. So ließ der FDP-Abgeordnete Jürgen Lenders eine Eloge auf Verkehrsminister Volker Wissing (ebenfalls FDP) los: „Herr Bundesminister, das 9-Euro-Ticket und sein Nachfolger – es sollte mit Sicherheit spätestens ab jetzt Ihren Namen tragen, sprich: das Wissing-Ticket – sind die nachhaltigste ÖPNV-Reform, die wir uns seit Jahren denken können.“ Und die SPD-Abgeordnete Tina Rudolph lieferte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Steilvorlage: „Vielleicht können Sie das noch einmal kurz skizzieren –, warum ein solches Institut (für öffentliche Gesundheit) auch wichtig wäre für die Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern der Länder und Kreise und warum das für unser Gesundheitssystem eine gute Angelegenheit wäre.“ Selbst im Plenum gab es Protest gegen solche Gefälligkeitsfragen. Stephan Pilsinger (CSU) rief: „Das hatten wir schon!“ Und Beatrix von Storch (AfD) protestierte: „Das ist doch keine Frage! Das ist eine Frechheit!“

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kommt in den Genuß harmloser Fragen seiner Genossen. Jasmina Hostert (SPD) wollte wissen: „Welche Wichtigkeit hat für Sie die frühkindliche Bildung?“ Scholz’ Antwort: „Die frühkindliche Bildung ist sehr, sehr wichtig.“ Die Kritik an Art und Stil solcher Debatten ist bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) angekommen: „Ich bekomme viele Briefe, in denen es heißt, wir benähmen uns manchmal wie im Kindergarten.“

Daher soll jetzt – wieder einmal – alles besser werden. Zu Beginn des nächsten Jahres sollen per Änderung der Geschäftsordnung öffentliche Ausschußsitzungen zugelassen werden, was es bisher nur in Ausnahmefällen gab. Und die Regierungsbefragung soll aufgewertet werden, indem sich künftig zwei statt bisher ein Minister den Fragen werden stellen müssen. Politiker sind sich bereits des Erfolgs der Maßnahmen sicher: „Mehr Transparenz und lebhaftere Debatten erwartet Johannes Fechner (SPD), mehr Licht in den Maschinenräumen des Parlaments will Filiz Polat (Grüne) damit bekommen, und Stephan Thomae (FDP) sagt: „Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einem modernen, lebendigen und bürgernahen Parlament.“