© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Wohin des Weges?
Dänemark: Nach dem Sieg der Sozialdemokraten schwanken sie zwischen der Mitte und Links
Christoph Arndt

Die Sozialdemokratin Mette Frederiksen kann mit der denkbar knappsten Mehrheit dänische Ministerpräsidentin bleiben. Der rote Block der linken Parteien erreichte dank dreier nordatlantischer Mandate und einer bis dato nie zur Anwendung gekommenen Überhangmandateklausel die Mehrheit von 90 Sitzen, obwohl alle nichtlinken Parteien die Mehrheit der Stimmen erhielten.

Das Wahlergebnis spiegelt eine hohe Schwankung wider, denn 64 von 179 Sitzen werden von Neulingen besetzt. Insgesamt gelangten 12 Parteien in das Folketing. Das letzte und entscheidende Mandat fiel in der Nacht zum 2. November an die Sozialdemokraten, nachdem es lange nach einem Patt ohne Sieger ausgesehen hatte. Somit kann Frederiksen weiterregieren und sich die Regierungspartner aussuchen.

Blockübergreifende Lösung ist längst nicht vom Tisch

Die Sozialdemokraten erreichten mehr als 27 Prozent und sind damit klar die stärkste Partei. Im roten Block wurde die sozialliberale Radikale Venstre mehr als halbiert, die radikallinke Einheitsliste verlor ebenfalls Stimmen. Die grüne SF war die einzige etablierte Partei, welche überhaupt stabil blieb. Die radikalökologische Alternative kam mit Hilfe von taktischen Stimmen doch sicher über die Zweiprozentsperrklausel, die von ihr abgespaltenen Freien Grünen sind dagegen raus.

Die Niederlage des blauen Blocks ist auch selbstverschuldet. Das bürgerliche Lager war zum Wahlkampfauftakt fragmentiert, hatte schwache Spitzenkandidaten und keine zündenden Themen, um eine ausreichende Wechselstimmung zu erzeugen. 

Die traditionell größte bürgerliche Partei, die rechtsliberale Venstre, mußte deutlich Federn lassen und erreichte lediglich 13 Prozent – ein Minus von zehn Prozentpunkte. Sie verlor viele Wähler an die beiden Abspaltungen Moderaterne und Dänemarkdemokraten (DD), welche von ihrem ehemaligen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen und der ehemaligen Zuwanderungsministerin Inger Støjberg gegründet wurden. Beide hatten sich 2021 mit dem neuen Venstre-Vorsitzenden Ellemann-Jensen überworfen und starteten neue Projekte. Ellemann-Jensen konnte keine wirkliche bürgerliche Alternative zu Frederiksen aufzeigen und muß seine Ambitionen auf die Regierungskanzlei wohl begraben.

Die Moderaten wurden mit neun Prozent auf Anhieb drittstärkste Partei. Løkke Rasmussens Rechnung, mit einer blockfreien Partei so viele Stimmen zu erzielen, daß weder der rote noch der blaue Block eine Mehrheit bekommt und die Moderaten Königsmacher werden, ging dabei jedoch nicht auf. Zudem stellt sich die Frage, wie stabil eine Partei mit vielen Neulingen ist. 

Die DD erreichten acht Prozent und stellen eine Fraktion, die sich neben Zugpferd Støjberg überwiegend aus Veteranen der Dänischen Volkspartei (DF) zusammensetzt und daher stabiler als die Moderaten sein dürfte. Die Konservativen, welche offiziell ihren Vorsitzenden Søren Pape als Ministerpräsidentenkandidaten nominiert hatten, erreichten enttäuschende 5,5 Prozent. Sie hatten zum Wahlkampfauftakt strategische Fehler gemacht, dazu kamen unvorteilhafte Details aus dem Privatleben Papes, so daß sie von 16 Prozent in den Umfragen auf ein einstelliges Ergebnis abstürzten und noch schlechter als 2019 dastehen.

Die DF kam mit zwei blauen Augen davon. Sie lag letztlich noch sicher über der Sperrklausel und stellt mit 2,6 Prozent jetzt die kleinste Fraktion im Folketing, nachdem sie zwei Jahrzehnte lang Dänemarks dritte Kraft war. Ihre langfristige Existenz ist dennoch nicht gesichert, da die DD ein ähnliches Profil anbieten und aufgrund der Überläufer von DF und Venstre das bessere Personaltableau haben.

Die rechtskonservativen Neuen Bürgerlichen  verzeichneten leichte Zugewinne, hatten sich aber mehr erhofft, auch wenn sie größer als die DF wurden. Die Liberale Allianz erreichte acht Prozent mit einem klaren marktwirtschaftlichem Profil. Sie war die einzige bürgerliche Partei, die einen fehlerfreien Wahlkampf hinlegte und auch von der Schwäche Venstres und der Konservativen profitierte.

Derzeit laufen die Sondierungen über die Regierungskonstellation. Die alte und neue Ministerpräsidentin, Mette Frederiksen, hat bis auf die DD alle bürgerlichen Parteien und die Moderaten zu Verhandlungen eingeladen. Somit kann sich Løkke Rasmussen noch Hoffnung machen, eine blockübergreifende Koalition zu schmieden.