© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Brüssel will auf dem Balkan punkten
Westbalkan: Nach dem Gipfel geht der Konkurrenzkampf zwischen der EU und Serbien in die nächste Runde
Hans-Jürgen Georgi

Schon im Vorfeld des Gipfeltreffens der West-balkan-Staaten in Berlin sprach die bundesdeutscheAußenministerin  Annalena Baerbock von „historischen Schritten“. Tatsächlich könnten die unterzeichneten Abkommen der sechs Balkan-Staaten Serbien, Albanien, Nordmazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina (BIH) und dem Kosovo ein Wendepunkt in den gegenseitigen Beziehungen bedeuten. In diesem sogenannten Berliner Prozeß ist es erstmals gelungen, Vereinbarungen mit praktischer Wirkung zu erzielen. 

„Die EU steht nach wie vor hinter dem Westbalkan – in guten wie in schlechten Zeiten “, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und unterstrich, daß Brüssel während der Covid-19-Pandemie ein „beispielloses Paket in Höhe von 3,3 Milliarden Euro für die Region“ mobilisiert habe. Nun stelle die EU ein Unterstützungspaket für den Energiebereich im Umfang von einer Milliarde Euro zusammen. Parallel dazu wurden Verträge über Reisefreiheit mit dem Personalausweis innerhalb dieser Staaten, die Anerkennung von Berufsabschlüssen und Diplomen unterzeichnet. 

Seit 2014 hatte dieser Berliner Kongreß immer wieder getagt, ohne konkrete Ergebnisse zu erzielen. Dieses Mal ging man die Sache anders an. Man legte „politische Ziele beiseite und konzentrierte sich auf die konkreten Abkommen“, beschrieb der Verhandlungsführer Manuel Sarrazin das Vorgehen. 

Konkret geht auch eine andere Initiative auf dem Balkan vor, der von Serbien ins Leben gerufene „Open Balkan“. Grundlage bilden die Prinzipien, die auch der EU zugrunde liegen: freier Verkehr von Menschen, Waren, Kapital und Dienstleistungen. Seit 2019 haben Serbien, Albanien und Nordmazedonien – Kosovo, Montenegro und BIH sind nicht dabei, da sie eine Vorherrschaft Serbiens befürchten – zahlreiche Abkommen abgeschlossen, die die gleichen Inhalte umfassen wie der Berliner Prozeß und darüber hinausgehen. Zu einem Teil wurden sie jedoch bereits umgesetzt.

Kein Wunder also, daß der EU-Sondergesandte Miroslav Lajčak vor einem Jahr von „ungesundem Wettbewerb“ zwischen „Open Balkan“ und der europäischen Integration sprach. Angaben der Tirana Times zufolge hatten sich bereits „einige Länder“ des westlichen Balkans, die auf einen Beitritt warten, „langsam erschöpft“ gezeigt. Kritiker der langsamen Erweiterung der EU hätten zudem hervorgehoben, daß Rußland und China ihren Einfluß in der Region ausweiten könnten.