© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Der König ist zurück
Israel: Nach vier Wahlen ein Sieger – Benjamin Netanjahu
Sandro Serafin

Als das Ergebnis der Knesset-Wahlen in Israel feststand, meldete sich auch Naftali Bennett zu Wort. Er hatte vor anderthalb Jahren Benjamin Netanjahu als Premierminister abgelöst und sich, ursprünglich rechtsreligiös, fortan als einigende Kraft gesehen. Nun war er nicht mehr angetreten, hatte aber eine Botschaft: Das Ergebnis sei nicht „das Ende des Landes“, richtete er sich an die Linken. Sie sollten aufhören darüber zu reden, ob sie auswandern. Die Rechten wiederum sollten auf niemandem „herumtrampeln“. Am Ende müßten „wir alle hier zusammenleben“.

Bennetts Worte verweisen auf die tiefen Risse, die Israel auch über diesen Wahlgang hinaus begleiten werden. Die fünften Wahlen seit 2019 haben dem Land klare Verhältnisse gebracht: Ex-Premier Netanjahu wird nach anderthalb Jahren in der Opposition an die Schalthebel der Macht zurückkehren. Nach Jahren des innenpolitischen Chaos dürfte Israel wieder in stabilere Fahrwasser einlaufen. Gleichzeitig bleibt das Land gespalten, in Rechte und Linke, in Araber und Juden, in Religiöse und Säkulare – und: in Anhänger und Gegner Netanjahus. 

Auch dieser Wahlkampf hatte sich wieder in erster Linie um den alten und bald neuen Premier gedreht: Die eine Hälfte verehrt ihn als den „König Israels“, als einen starken Anführer, der das kleine Land durch die Stürme des Nahen Ostens navigiert. Die andere – neben Linken auch ehemalige Parteigänger – verachten ihn als Egozentriker, der sich derzeit wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten muß.

Viermal war Netanjahu daran gescheitert, mit den ihm ergebenen Parteien eine Mehrheit in der Knesset zu erreichen. Im fünften Anlauf bringt es sein Block nun auf 64 der 120 Knesset-Sitze. Die plötzliche Mehrheit ist nicht Folge einer gestiegenen Zustimmung. Vielmehr profitierte der 73jährige von den strategischen Fehlern des Gegenlagers. In dem scheiterten zwei Listen an der 3,25-Prozenthürde, was die Mandatsverhältnisse zugunsten Netanjahus verschob. Die klassische israelische Linke stellt mittlerweile nur noch vier der 120 Knesset-Sitze.

Im Wahlkampf hatten beide Lager für den Fall, daß die Gegenseite gewinnt, gleichsam den Untergang der Nation an die Wand gemalt. Für viele Rechte, Konservative und Religiöse im Land kam schon die scheidende Regierung einer Katastrophe gleich: Sie war getragen von sozialistischen, zentristischen und rechten Parteien sowie einer islamistischen Kraft, die ihre Wurzeln in der Muslimbruderschaft hat. 

Geeint waren sie einzig in dem Willen, „Bibi“ zu stürzen – ein Klebstoff, der nur für ein Jahr hielt.Dabei war nicht zuletzt die Beteiligung der nicht-zionistischen arabischen Ra’am-Partei so historisch wie problematisch. Das zeigte sich etwa im Mai, als die Regierung auf der Kippe stand und ihre Fortexistenz vom Schura-Rat der Islamischen Bewegung abhing, der darüber entschied, ob Ra’am in der Koalition bleiben sollte – im jüdischen Staat eine bizarre Situation. 

Netanjahus schwierige Aufgabe: die Partner im Zaum halten

Nun, nach der Wahl, fürchten sich wiederum linke und liberale Israelis vor dem ideologisch recht homogenen Koalitionsbündnis aus Netanjahus konservativer Volkspartei Likud, drei ultra-orthodoxen und zwei bis drei nationalistisch-religiösen Parteien, das jetzt folgen wird. Vor allem die Aufsteiger-Partei „Jüdische Stärke“ hat sich zu einem Schreckgespenst entwickelt. Sie stammt aus der Tradition des 1990 ermordeten rechtsextremen Rabbiners Meir Kahane, der offen über eine ethnische Säuberung Israels von seinen arabischen Einwohnern phantasierte.

Ihr Spitzenkandidat, Itamar Ben-Gvir, durfte einstmals wegen seiner Radikalität nicht in der Armee dienen. Im Wahlkampf trat er gemäßigter auf, pfiff Anhänger zurück, wenn diese „Tod den Arabern“ skandierten. Seine Forderungen und die seiner Partner, darunter die Ausweisung „nicht loyaler“ Araber, die Lockerung der Einsatzrichtlinien für Polizei und Armee und Reformen in der Justiz, lassen die Linken gleichwohl warnen, Israel könne sich aus dem Reigen „liberaler Demokratien“ verabschieden.

Netanjahu, selbst säkular und durchaus pragmatisch, steht nun vor der Herausforderung, seine Koalitionspartner, die wichtige Ministerien wie Sicherheit fordern, im Zaum zu halten – um Israels internationales Ansehen vor Schäden zu bewahren, aber auch um das Land nicht weiter auseinanderdriften zu lassen. 

Allenfalls in Nuancen auswirken wird sich der Regierungswechsel derweil auf das Verhältnis zu den Palästinensern: Denn an einen Friedensprozeß ist sowieso erst einmal nicht zu denken; das Jahr der Vorgängerregierung war eines der gewaltsamsten seit langem.