© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

„Auch wir haben unsere Limits“
Italien: Beim Thema illegale Migration läßt die neue Rechtsregierung nicht mit sich spaßen / EU-Partner sollen mehr Solidarität zeigen
Fabio Collovati

In der vergangenen Woche hat die neue italienische Mitte-Rechts-Regierung erstmals gezeigt, daß sie ihre Ankündigung, die illegale Migration auf dem Mittelmeer zu bekämpfen, auch Taten folgen läßt. Zwei Schiffe aus Deutschland und Norwegen waren tagelang vor der Küste Italiens zur sogenannten „Seenotrettung“ von illegalen Zuwandern und Flüchtlingen im Einsatz. „Wir haben sofort gehandelt, um den Flaggenstaaten sofort ein Signal zu geben: Wir können keine Migranten übernehmen, die von ausländischen Schiffen, die systematisch ohne vorherige Koordinierung der Behörden operieren, auf See aufgegriffen werden“, sagte Innenminister Matteo Piantedosi.  

In Verbalnoten an die deutsche und die norwegische Botschaft in Rom hielt Piantedosi fest, daß die beiden Schiffe „nicht im Einklang mit den europäischen und italienischen Normen zum Grenzschutz und der Bekämpfung der illegalen Einwanderung“ stünden. Der der Lega von Matteo Salvini nahestehende Minister warf der EU mangelnde Solidarität vor und forderte, daß die Mitgliedsländer anerkennen, daß sie für unter ihrer Flagge fahrende Schiffe die Verantwortung übernehmen. Parallel dazu warf Piantedosi Hilfsorganisationen „Beihilfe zur Schlepperei“ vor. 

Insgesamt sind in Italien seit Anfang des Jahres über 80.000 Migranten gelandet – 84 Prozent von ihnen schafften es mit ihren eigenen Booten oder sie wurden von italienischen Schiffen gerettet. Die übrigen 16 Prozent wurden von privaten ausländischen Seenotrettern nach Italien gebracht. „Nachdem wir uns schon um den allergrößten Teil der Migranten kümmern, erwarten wir bei den übrigen die Solidarität Europas“, sagte Piantedosi. 

Auch Italiens neue Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schaltete sich mit markigen Worten in die Diskussion ein. In Italien stört man sich seit Jahren daran, daß man von der EU in Sachen Mittelmeer-Migration alleine gelassen wurde. Im Gegenzug revanchierte sich Rom in der Vergangenheit stets damit, Einreisenden die „freie Durchfahrt“ vor allem nach Norden zu gewähren. „Wenn man zwischen der afrikanischen Küste und Italien pendelt, um Migranten zu befördern, verstößt man offen gegen das Seerecht und das Völkerrecht. Wenn ein NGO-Schiff beispielsweise unter deutscher Flagge fährt, gibt es zwei Fälle: Entweder Deutschland übernimmt es oder es wird zum Piratenschiff“, erklärte Meloni.

Die EU-Kommission konterte, man sei zwar nicht für die Koordinierung von Seeflüchtlingen verantwortlich, aber es sei die moralische und rechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, den Menschen zu helfen, erklärte eine Sprecherin der EU-Kommission. Während sich die norwegische Regierung für „nicht zuständig“ erklärte, kamen aus Frankreich Signale, einen Teil der Migranten aufzunehmen. „Italien ist das Land mit der ungünstigsten Lage in Meeresnähe. Wir dürfen es nicht mit dieser Problematik alleine lassen“, erklärte Innenminister Gerald Darmanin. 

Nach zähen Verhandlungen durften dann am vergangenen Wochenende mehr als 140 Bootsmigranten das deutsche Schiff „Humanity 1“ im Hafen der italienischen Stadt Catania verlassen. Meloni hatte zuvor zugesichert, Verletzte, Frauen und Kinder von Flüchtlingsschiffen an Land zu lassen. Außenminister Antonio Tajani forderte aber, daß sich die EU koordiniert um eine Lösung kümmere. 

Die Regierung verweist auf folgenden Fakt: Seit ihrem Amtsantritt habe Italien bereits über 9.000 Migranten aufgenommen, die es mit ihren Schiffen nach Italien geschafft haben oder die von der italienischen Küstenwache gerettet wurden – durchschnittlich rund 650 pro Tag. Von geschlossenen Häfen könne keine Rede sein, betonte Innenminister Piantedosi. Er sieht eine gezielte internationale Kampagne gegen die neue Regierung. Denn auch unter Premier Mario Draghi mußten private ausländische „Seenotretter“ wochenlang auf die Zuweisung eines Hafens warten. Draghi hatte  Anfang Juli die Kapazität bei der Aufnahme von Migranten als erreicht angesehen: „Auch wir haben Limits, und jetzt sind wir da angekommen.“  Seine Forderung, die EU müsse helfen, verhallte damals ungehört.